KULTURELLES

In der Reduktion liegt die Kraft: Einfach „weglassen!“

Hansgerd Honnen erschafft Schiffe wie Karikatouren


Trampschiff

Der Künstler, Hansgerd Honnen, ist, sagt er, gar kein Künstler. Aber wenn man ihm in der Begründung folgt, die darauf abhebt, dass er sich in der Tradition der handwerklich hochentwickelten Illustration alten Stils sieht, ist er dennoch einer.

Er, gelernter und studierter Grafiker und Messearchitekt, hat in durchaus glückhafter Weise eine Spielwiese für sich und seine Kunst entdeckt. Die ihn alleinstellt, unverwechselbar macht, seine Ausdrucksmittel zu seiner Handschrift werden ließ - zur Freude jedes Betrachters, der bereit ist, sich in Hinter- und manchmal Abgründe des betrachtenden Humors zu begeben, die nicht alltäglich sind. Ironie seht im Mittelpunkt, aber nicht als Selbstzweck der Werke des Bildhauers, und sie bekommt Substanz, ist für den Betrachter einerseits individuell zu erschließen wie andererseits erfrischend plastisch. Und wie eine gute humoristische Illustration, eine Karikatur aus der Reduzierung des Motivs ihre eigentliche Kraft schöpft, so gilt für Hansgerd Honnens Werke, dass sie aus der Reduzierung der Form, aus dem Weglassen aller irritierenden Details ihren verblüffenden Witz schöpfen.

Honnen nutzt Bildelemente, die in ihrer konsequent beibehaltenen Einfachheit genauso funktionieren, wie Pictogramme etwa auf Verkehrsschildern, die in ihrer blitzschnell erfassbaren Simplizität von der Botschaft nicht ablenken dürfen. Und ein unverwechselbares Merkmal seiner Installationen und Skulpturen ist die Verwendung der offenbar perfekten Auswahl an typischen Formen, die jedem Betrachter ohne weitere Erläuterung aus jeder Perspektive die gewünschte Annähe- rung, Rezeption und Interpretation des Objektes ermöglichen. So gibt es auch keine Perspektive, aus der heraus ein Objekt allein funktioniert, die Arbeiten sind aus verschiedensten Betrachtungsrichtungen gleichermaßen reizvoll, verblüffend, anregend, stimmig.

Schon die Auswahl der Hauptdarsteller ist also ein großer Wurf an sich. Das Verdienst, aus der ungeheuren Fülle der etablierten Schiffsformen eben genau jene herausgefiltert zu haben, die sich dem Betrachter als Schiff erschließen, ist wohl der Grundstein des Erfolges des Bildners. Dabei scheint es noch nicht einmal eine Rolle zu spielen, dass die ausgewählten Formen mitsamt ihres Formenguts, ihrer Proportionen und ihrer Nutzung in der Wirklichkeit längst ausgestorben sind.
Er beschränkt sich auf lediglich fünf Muster: Es gibt den „typischen“ Frachter vom „Drei-Insel-Typ“, in der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts weltweit dominierend auf den Ozeanen - Drei-Insel-Typ genannt, weil bei seiner Annäherung über die Kimm die hohe Back, der niedrige Brückenaufbau mit
dem Schornstein und die Poop wie drei Inseln über die Kimm wuchsen, ehe vom „Schiff“ in seiner Gesamtheit etwas zu sehen war; dazu kommt der große Passagierdampfer mit drei gewaltigen Schornsteinen, der früher die Sehnsucht nach der neuen Welt verkörperte; dann der Fischtrawler, der Seitenfänger mit einem ordentlichen Schornstein auf dem langen Deckshaus achtern; schließlich das allgegenwärtige klassische Kümo mit viel Deckssprung und natürlich der überaus knuffige Dampfschlepper aus dem großen Hafen, der sich mit seinen Qualmwolken optisch zu seinem Recht verhilft. Mit dem Container starb für den Künstler das Schiff als Kunstobjekt.


Auf Beute lauernd


Captain Courageous, Riding the Rolling Coaster


Oberflächenbeispiel

Freut sich der Betrachter bei oberflächlicher Annäherung zunächst an der überaus stimmigen Darstellung, den absolut treffenden Proportionen, so wird er unweigerlich in kürzester Zeit vom Geheimnis des Bildhauers, faszinierende Oberflächen mit großer Erzähltiefe zu erzeugen, gefangen genommen. Und alsbald kommen Fragen auf: Ist das Metall? Wieso wirkt das so echt alt? Man möchte es unbedingt anfassen – vermeint schon aus der Anschauung die Schwere zu spüren, den Magnetismus, der jeden Kompass ablenken muss. Stahl, Eisen, Guss, Rost, Erz, Salz, See – was ist das?
Natürlich wird hier jetzt nicht die Rezeptur abgedruckt, das Geheimnis der Honnenschen Oberfläche darf seine Einzigartigkeit wahren – aber es soll doch erwähnt werden, dass hier von Objekten aus Holz und Draht und ab und zu auch ein wenig Gips die Rede ist - auch wieder ein Stück Reduzie- rung schon im Material selbst. Das ist nicht zu viel verraten, auch nicht, dass verschiedene Zuschlagstoffe eine Rolle spielen, die mancher normalerweise als störend entsorgen würde, Stäube und Pulver, die mithelfen, das zu erzeugen, was einen großen Teil des Reizes aus- macht: Die spezielle Oberfläche.

Die besondere Stumpfheit, die verfließenden Farben des Verfalls, die gezielte Betonung von Details, die gar nicht selbst dargestellt sind, nur durch eine besondere Nuance in der Farbgebung an den Kanten – als das sind Kniffe, mit denen Honnen bewusst und souverän spielt.
Dabei sind die Materialien selbst nicht ungewöhnlich, aber die ausgeklügelten Methoden der Aufbringung und Wei- terverarbeitung sorgen für die Wirkung. Ein sichtbarer Pinselstrich zerstört die Wirkung der Oberfläche und damit des gesamten Objekts, sagt der Künstler. Seine Werke sind Einzelstücke, auch wenn er jedes gefundene Thema mehrfach umsetzt. Aber die Art der Herstellung, in reiner Handarbeit und in einem aufwändigen Prozess von Schaffung und Zerstörung, Neuerung und Alterung, macht jedes Objekt zu einem Unikat.

Betrachtet man die einzelnen Kunstwerke und lässt sie auf sich wirken, setzt mit dem Anschauen ein Assoziieren ein, gegen dass sich der Betrachter kaum wehren kann. Die Bildsprache ist stark und in den meisten Fällen sich selbst überlassen tragfähig, aber Honnens Objekte anzuschauen, bedeutet auch, sich mit dem vom Bildhauer gewählten Titel auseinander zu setzen.

Eine Plastik von Hansgerd Honnen ohne Titel wäre sehr unvollständig. Honnen stellt sich nämlich zunächst dem Titel als Aufgabe und wählt nicht etwa einen Titel für ein fertiges Objekt. Hier kommt die persönliche Geschichte und künstlerische Herkunft des Künstlers zum Tragen, der sich als Illustrator eines Themas sieht, wie ein Karikaturist ein politisches Ereignis bildhaft kommentiert. Bis auf wenige Fälle schaffen ja Karikaturisten sich ihre Themen auch nicht selbst... So ist die Herangehensweise eine andere, als sie bei vielen Malern und Bildhauern zu finden ist, beinahe prag- matisch, durch manchmal zähe Arbeit am Thema geprägt. Was dabei herauskommt, ist häufig genug ein Spiel mit Assoziationen, ein doppelbödiges, zweideutiges oder Zweideutigkeit aufdeckendes Spiel mit Begriffen aus der Seefahrt.

Wie kommt man dazu, sich eine solche Nische zu suchen? Erfrischend prag- matisch beschreibt sich der Künstler selbst als von klein auf geprägt von der Schifffahrt, selbst wenn er im Binnenland aufwuchs. Binnenland heißt hier nämlich, dass der Rhein mit seinen – Honnen ist Jahrgang 1956 – in seiner Kindheit noch fahrenden kilometerlangen Schleppzügen sein Bild vom Wasser so eindrücklich geformt haben muss, dass es ihn nicht mehr losließ. Mit dem Großonkel auf dem Rheinschlepper beginnt eine Karriere, die über wochenlange Ruderreisen auf europäischen Flüssen schließlich zum eigenen Colin- Archer-Nachbau auf dem Ijsselmeer führt, mit dem Reisen rund um die Nordsee bis nach Schottland und Norwegen führen. Er weiß also, warum er ein Schiff in schwerer See so darstellen muss: Die See als Hauptdarsteller, das Schiff als reines Werkzeug der Sichtbarmachung der Naturgewalt, Reduzierung bis zur Umkehrung des Themas.
Und wenn Hansgerd Honnen auch von sich sagt, er arbeite nicht im allgemeinen Sinne inspirativ, so gelingt es ihm doch, den Betrachter seiner Werke so zu beeinflussen, dass sich der Betrachters kraft seiner Inspiration mitgenommen fühlt in die Situation, die Titel und Objekt aufleben lassen. Und dass beinahe immer mit einem Schmunzeln, gegen das man sich nicht wehren möchte.

Jens Burmester


Unerwartet untief



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