PFLEGE & RESTAURIERUNG

“Projekt M”oder Bootsbaukunst braucht eine Lobby

Daysailor, mit denen man gegen Abend noch mal schnell vom Alltag ablegen kann, sind in. Auch Georg Wawerla liegt da mit dem Neubau einer M-Jolle ganz im Trend. Er produziert diesen Bootstyp von 1914 nach eigenem Entwurf neu - in angenehm auf die seglerische Notwendigkeit reduzierter Ausstattung.

Und der Bootsbaumeister kann auch anders. Mit traditioneller Handwerkskunst restaurieren und so achtzig Jahre alte Schönheiten wieder zu frischer Blüte erwecken.

Im Interview erläutert er engagiert Beweg- und Hintergründe seiner Aktivitäten und äußert sich zum Wie, Womit und Wofür beim Erhalt alter Jollen. Dabei entwickelt er eine klar konturierte Auffassung von Bootsgeschichte als Kulturgeschichte, von den Grenzen des Restaurierens und von einem notwendigen Museum für Boots- und Yachtbau.

Übrigens: Georg Wawerla leitet seit 10 Jahren zusammen mit Uwe Baykowski die Restaurierungsseminare des Freundeskreises in Strande - ebenso wie die “Werft für klassische Jollen” mehr im Nebenjob. Im Hauptberuf kümmert er sich als international tätiger Designer um sein “Studio 38” in Kiel.

Herr Wawerla: Was haben sie vor mit den schönen Rennjollen,
ich glaube es sind schon vier Stück, wenn ich richtig informiert bin?

Vier Stück ist zwar richtig, was die Anzahl angeht, aber schwimmen tut nur eine und zwar die „Margarete von Zülz“. Es ist eine neu gebaute M-Jolle, entstanden im Rahmen des Projektes M, das ich mit Andreas Gronau und Thomas Petersen ins Leben gerufen habe.
Die M-Jolle wieder neu aufzulegen, entspringt der Idee und der Hoffnung, dass möglichst viele Segler und Liebhaber diese besondere und vergessene Bootsklasse, die in den 20er Jahren gebaut wurde, wieder entstehen lassen. Die Rennjollen besitzen in ihrer Bauart eine historische Dimension. Es waren nicht nur ungeheuer schnelle Boote, sondern unerreicht elegante, schlanke Jollen. Die Klassenvorschriften gaben den Bootsbauern viele Freiheiten, die sie gerne nutzten. Formel 1 auf dem Wasser sozusagen.

Warum setzten sie bei den Rennjollen auf die M-Jolle und nicht auf die Z- oder die N-Jolle?

Das ist eher ein Zufall. Das hatte rein familiäre Beweggründe. Ich wollte mit meiner Frau und meinen beiden Töchtern, die jetzt 6 und 10 Jahre alt sind, nicht gleich auf einer 7.80 langen Z-Jolle über die Kieler Förde peitschen, sondern wir haben geglaubt, dass eine Zweimann-Jolle mit einer beherrschbaren Länge der Einstieg und gleich-
zeitig der richtige Stimmungstest für ein solches Projekt sein sollte.

Was meinen sie mit “historisch”, wenn Sie von ihrem Projekt M sprechen?

Historisch ist dieses Projekt in zweierlei Hinsicht.
Zum einen wollen wir die Blicke auf die „vom Aussterben bedrohte Art“ der alten Rennjollen richten.
Es gibt von den N-Jollen, also der 10 qm Rennjolle, gerade mal noch ca. 25 Stück, und von den M-Jollen vermutet man, dass noch ganze 15 Stück existieren.
Von den Z-Jollen soll es laut Klassenvereinigung noch 60 Exemplare geben.
Diese Zahlen sind nicht sehr genau. Von den existierenden sind auch nicht alle segelbereit!

Geht man von einer fast bis zu 40-fachen Anzahl damals gebauter Boote aus, kann man, denke ich, behaupten, dass diese Boote quasi ausgestorben und die noch existierenden wenigen Boote die letzten Zeugnisse des deutschen Jollenbootsbaues vor den Weltkriegen sind. Wenn es dann auch noch stimmen sollte, was viele Kenner der Bootsbauhistorie behaupten, dass jährlich 5 % des historischen Bootsparkes durch Wind und Wetter und menschliches Zutun, nämlich durch Vernachlässigung oder falsche „Reparatur” oder „Pseudo-Restauration“ im Ofen landen, dann wird es Zeit, dass man rettet, was zu retten ist.
Zweit- und drittklassiges Kunstwerk und Kunsthandwerk wird von diversen Stiftungen in diversen Freilichtmuseen bewahrt, Bootsbau dagegen eher nicht. Die Bootsbaukunst hat keine Lobby, zumindest nicht hier in Kiel, obwohl deutsche Segelgeschichte eigentlich gerade hier zuhause ist.

Klingt wie Kritik an die Adresse der Bootsbesitzer und der kommunalen Vertreter?

An den Bootsbesitzern und Politikern jeweils nur teilweise.
Kritik eher an den Kunst- und Kulturhistorikern oder denjenigen, die dafür zuständig sein müssten.
Aber im Prinzip haben Sie recht.
Ich möchte es an einem Beispiel gerne verdeutlichen: Stellen sie sich vor, Ihr Nachbar hat den letzten Mercedes 300 SL Flügeltürer vom Grafen xy gekauft. Ohne Zweifel, ob sie Autofreund oder Autohasser sein sollten, Ihnen würde das technisch-historisch letzte Exemplar als historisch erhaltenswürdig erscheinen.
Folglich wäre es Ihnen auch nicht schnuppe, wenn der Nachbar die Flügeltüren abreißt und die Restteile neben die Sandkiste des örtlichen Kindergartens zur Belustigung und Spielfreude der Kinder stellen würde.
Und auch nicht, wenn Sie davon hörten, dass der neue Besitzer mit guten Freunden, die gerne mal an Autos herumbasteln, die unbequemen Originalpolster aus den 20er Jahren durch peppige Schaumstoffpolster aus seinem Zweitwagen ersetzt.

Es regt sich etwas in uns allen, wenn man so etwas hört. Hoffentlich. Besonders als Bootsbaumeister missfällt mir eine Entwicklung, bei der die Arbeiten, die vor 100 Jahren geleistet wurden, ohne Sachkenntnis und Respekt erneuert oder gar vernichtet werden. Die Mona Lisa pinselt man halt nicht über, auch wenn sie einem nicht gefällt!

Und genau da sind wir an einem ganz problematischen Punkt, bei dem jetzt 50 % der Leser sagen werden: Endlich sagt es mal einer so deutlich, und die anderen 50% sagen werden: Spinnt denn der, wie stellt er sich das denn vor; alles völlig unrealistisch. Fest steht, dass weder ein Auto- noch ein Bootsbesitzer bevormundet werden oder gleichsam enteignet werden soll.

Aber man muss Besitzern von solchen besonderen Booten Hilfestellung geben, sei es durch eine gutachterliche Tätigkeit, die zur Verfügung gestellt wird, um bootsbautechnische Katastrophen zu verhindern, bis hin zu finanzieller Hilfe aus einem noch nicht existierenden Fonds.
Ich denke da an den Denkmalschutz, den meines Wissens noch nie jemand grundsätzlich in Frage gestellt hat. Gemessen an den Summen, die im Denkmalschutz eingesetzt werden, denke ich im wahrsten Sinne an - deutsch gesagt - „Erdnüsschen“, peanuts, um die es hier geht.
Es muss ein Bewusstsein geschaffen werden. Der FKY ist eine Instanz, die so etwas leisten kann und ja auch seit Jahren leistet. Das rasant steigende Interesse an Holzbooten in Deutschland ist ein Beleg dafür. Vor 15 Jahren waren wir eine winzig kleine Menge verrückter Menschen, die auf Holz und nicht auf Kunststoff setzten. Anfang der 90er stellte man die Frage, ob wir überhaupt noch Bootsbaumeister brauchen, anstatt Bootsbau verstärkt und auf höherem Niveau von kompetenten Leuten lehren zu lassen. Es ist, ob wir wollen oder nicht, leider eine aussterbende Kunst. In Deutschland werden wir es wahrscheinlich schlicht nur herauszögern, aber nicht verhindern können.
Man kommt dann bezüglich dieser besonderen Boote zwangsläufig zu der brisanten Frage:
Welches Boot ist historisch bedeutend?
Welches Boot ist förderungswürdig?
Wer entscheidet das?
Es wird ein sehr langer Prozess sein, obwohl wir alles andere als Zeit haben!

Sind Sie denn mit ihrem Projekt M ein Vorbild in ihrem Sinne?
Wie restaurieren Sie Boote sozusagen unter denkmal-pflegerischen Aspekten?

Das Projekt M schärft die Sinne für die schönsten Jollen des beginnenden letzten Jahrhunderts. Hierfür steht stellvertretend das Projekt M und die „Margarete von Zülz“. Es ermöglicht grundsätzlich erst einmal jedem, der es will, überhaupt in Berührung mit und in den Genuss einer M-Jolle zu kommen und diese überhaupt kaufen zu können. Das ist bis 2008 gar nicht möglich gewesen. Neue N- und auch Z-Jollen werden folgen.


Neubau einer M-Jolle

Die zweite Säule ist das Restaurationsprojekt der N-Jollen. Wir haben derzeit zwei absolute N-Jollen-Raritäten aus den 30er Jahren in unserer Werft, die derzeit auch restauriert werden. Diese werden nicht, wie oft üblich, totrestauriert, sondern die oberste Maxime ist das Erhalten des Bootskörpers und zugleich, das Boot in einem segelfähigen Zustand zu erhalten oder zu versetzen.

Heißt das, Sie sagen auch mal: Dieses Boot ist nicht zu restaurieren; stellen Sie es bitte in eine große Vitrine? Wo ziehen sie die Grenzen?

Ja, so könnte man sagen. Ich bin kein Anhänger der These: Auswechseln bis zum vorletzen Decksbalken.
Wenn absehbar ist, dass ein gewisser Prozentsatz überschritten wird, muss man, ich betone bei HISTORISCH bedeutenden Booten, eher diese speziellen Boote in ein bislang leider noch nicht existierendes Yachtsportmuseum stellen und der Bootsbauweltnachwelt erhalten. Auf jeden Fall nicht Spant für Spant und Decksbalken für Decksbalken erneuern und zu versuchen, die Seele mit Epoxy und gelasertem V4A einzufangen.
Man muss nicht gleich alle Bootsbaurestaurierungsseminare in lateinischer Sprache halten und einer Bootsbaubruderschaft beitreten, aber bestimmte Boote oder mindestens das letzte einer Gattung oder auch technisch relevante Holzboote verdienen es, eine besondere Beachtung und Würdigung zu finden.

Zum zweiten Teil Ihrer Frage. Bei den N-Jollen, die wir gerade aufwendigst restaurieren, sind wir genau dieser Problematik begegnet.

Die erste Frage ist, was der Kunde mit dem Boot machen will. Will er harte Regatten segeln und gewinnen oder geht es ihm um den reinen Erhalt und die Segelfähigkeit des Bootes im Originalzustand?
Die zweite Frage nach dem Budget folgt dann sofort danach und ist ebenso entscheidend.

Bei einer der beiden Jollen haben wir nach Entfernung der Kunststoffschicht, die vor gut 25 Jahren aufgebracht wurde, ein großes Wunder erlebt:
Die Außenhaut war fast makellos.
Makellos definiere ich folgendermaßen: Die Planken haben durchweg eine Stärke von mindestens 8 mm. Sie haben nur die übliche, durch den Kupferanteil der Nieten bedingte Verfärbung im Holz. Sie sind fest und müssen daher nicht ausgewechselt werden.
Ca. 10 % des Unterwasserschiffbereiches war teilweise zu dünn, um nicht konstruktiv, also statisch eingreifen zu müssen. Also haben wir im Bereich des Unterwasserschiffes 2fach diagonal 2,5 mm Kaja Mahagonifurnier in Vakuumtechnik aufgebracht. Hierdurch haben wir den Spantenbereich im Unterwasserschiffbereich, der von innen partiell marode ist, verstärkt. Dadurch erübrigte sich das Ersetzen von diversen Originalspanten. Gleiches gilt für den Mastbereich, wo wir eine bestimmte Statik einbringen, um originale Bauteile nicht gnadenlos ersetzen zu müssen.
Sollte also ein „Bootsbauarchäologe“ in 100 Jahren unser Restaurationsobjekt in den Urspungszustand versetzen wollen, kann er genau ablesen, was addiert wurde, und diese Bauteile entfernen und das Originalboot in das hoffentlich dann existierende Museum für Yachtbau stellen .

Das alles, wie gerade beschrieben, geht allerdings nur, wenn man den Bootskörper als Ganzes versteht. Das heißt, dass man bei Restaurationen auf keinen Fall lokale Festigkeiten einbaut, weil irgendwo ein Bauteil kaputt ist. Man darf nicht einfach blind Bauteile aufdoppeln und sich wundern, dass das Boot Wasser zieht oder der Mast bricht.
Damit sind wir wieder bei der sachkundlichen Betreuung von solchen ausgewählten Projekten. Restauration ist ein Abwägen von unendlich vielen Parametern, die absolut bootsspezifisch sind. Kein Boot, auch nicht Boote einer Bootsklasse, kann man über einen Kamm scheren.
Jedes Boot erfordert ein eigenes Restaurationskonzept!

Klingt schlüssig, klingt jedoch auch nach einem kostspieligen Ansatz. Trotzdem die Frage, wer soll das bzw. wer kann so etwas bezahlen?

Es gibt doch beim Kauf immer mehrere Aspekte.
Zum einen gibt es den Einsatz, also das Geld, das ich in das Projekt hinzu-stecken bereit bin.
Zum anderen gibt es den Werterhalt, den ich mit der Reparatur oder einer Restauration erzielen sollte.
Bei einem Auto oder einem Haus sind uns diese Berechungen und Herangehensweisen komischerweise gar nicht fremd, bei Booten geht es eher nach dem Prinzip: Ich geh zum Baumarkt und besorge mir ein paar Schrauben und zur Not irgend etwas, was klebt. Es werden irgendwelche Lacke angemischt, die einem von einem alten Malermeister als Geheimrezepte anvertraut wurden, und los geht’s. Verschiedenste Lacke werden übereinander gestrichen oder Bauteile aus Tanne eingebaut, die besser aus Mahagoni erstellt werden sollten usw.

Diese Entwicklung bei bootshistorisch relevanten Booten gilt es zu verhindern.
Keiner will einem Besitzer eines alten Holzpiraten das 5fache des Wertes aus der Tasche ziehen, sondern genau das Gegenteil. Keine mir bekannte Werft und schon gar nicht unsere wird mit diesem hohen Anspruch an bootsbauerischer Qualität einen noch so berechtigten Stundensatz auf dem Markt durchsetzen können, der über dem einer Verkäuferin liegt. Wir reden ja hier von Jollen und nicht von großen Yachten. Unsere Kunden sind eher Leute mit viel Zeit und wenig Geld. Mit dieser Art von Werft und unserem hohen Anspruch schrammen wir natürlich hart an der Grenze der Liebhaberei entlang.
Aber was haben die Boote für eine andere Überlebenschance?
Unsere Werft ist keine Hyporealestate-Bank, die auf Verstaatlichung pokert. Dennoch wünschen sich alle Werften, die in diesem Bereich tätig sind, Kunden, die diese Art von Arbeit würdigen.
Ich wünsche mir, dass man die wenigen verbliebenen Boote nicht einfach vergammeln lässt, sondern eher an einen Sammelort bringen kann, um Liebhabern die Gelegenheit zu geben, so ein Kunstwerk zu erhalten und vor allem möglichst fahrbereit zu halten, denn sonst kann der eigentliche Sinn der Entstehung von Segelbooten nicht angemessen dokumentiert werden, nämlich durch das Segeln selbst.
Ein Boot, um mich nicht miss zu verstehen, gehört in erster Linie aufs Wasser, nicht in die Vitrine, und das in einem möglichst authentischen Zustand. So philosophisch kann Bootsbau sein!

Herr Wawerla,
wir danken für das Gespräch.

>> Weitere Infos: www.segelbootsbau.de

Fotos - S. Schafft, Bootswerft für klassische Jollen



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