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Österreicher gewinnen Europa-Pokal auf der Alster

Wenn es noch einer Steigerung der Emotionen bei den Regatten klassischer Holzboote auf der Hamburger Außenalster im leichten Sommerwind und 25 Grad Celsius bedurft hätte, die rassigen 22er Rennjollen und anschließend die wunderschön restaurierten Boote aus 24 Klassen sorgten dafür.

Es war ein Leckerbissen ganz besonderer Art, der Aktive und Zuschauer vom 7. bis 9. August 2002 auf der Außenalster erwartete: Zum ersten Mal seit mehr als 60 Jahren gaben sich die rassigen 22er Rennjollen ein Stelldichein und segelten auf ihrem historischen Revier um den Europa-Pokal. Ausrichter war der Hamburger Segel-Club (HSC).

Die Alster hat für die 22er Rennjolle – die älteste europäische, aber fast vergessene Jollenklasse – eine besondere Bedeutung: Hamburger Segler von der Alster sorgten 1909 auf dem Seglertag zu Berlin für die Gründung dieser ersten nationalen Jollenklasse. Die sogenannte Nationale Jolle mit dem "I" im Großsegel (deshalb I-Jolle) oder 22er Rennjolle war ausschließlich für Rennen konstruiert, Schwerpunktreviere Hamburg, Berlin, München, Wien und Budapest.

Mit 6 m Länge, 1,7 m Breite und 22 qm Segelfläche ist das Boot maßlos übertakelt und entsprechend schnell. Bei maximal 4 Windstärken sorgen die ästhetischen Dreimann-Flitzer mit ihrem großen Gaffelrigg und Spreizlatten für spektakuläre Manöver.

Dem umtriebigen Manfred Jacob (Hamburg) war es gelungen, 13 Crews vor allem aus Süddeutschland und Österreich nach Hamburg zu holen, um durch eine hochrangige Wettfahrtserie die Klasse neu zu beleben. Jacob ist sozusagen der gute Geist der Klasse. Wer nun annimmt, dass schon im Vorfeld mit harten Bandagen gekämpft wurde, der irrt. Die Atmosphäre im Hamburger Segel-Club war ausgesprochen légere und stressfrei, der Umgangston freundschaftlich. Eine Wohltat gegenüber dem leider häufig anzutreffenden Regattazirkus, wo es heißt: Siegen um jeden Preis. Das Wetter spielte mit, so hatte Wettfahrtleiter Dr. Lutz Wisser (HSC) auch keine Not, insgesamt acht reguläre Wettfahrten nach Yardstick durchzuführen.

Ideale Bedingungen herrschten am ersten Tag bei einem warmen Ostwind 3 bis 4 und strahlendem Sonnenschein. Allerdings war in manchen Böen das Limit für die völlig übertakelten Boote erreicht. Aber welch ein Bild boten sie, und das mitten in Hamburg! Manch Eigner hat Tausende von Arbeitsstunden in seinen Liebling hineingesteckt, um ein hässliches Entlein wieder in eine Schönheit zu verwandeln. Ältestes Boot im Feld war die 1921 am Wolfgangsee/Österreich gebaute "Bongo" von Andreas Poell, zweitältestes die 1922 in Hamburg gebaute "Woge" mit der Segelnummer I-127 von Manfred Jacob, gesegelt wurde sie von Kai Witt. Die "Woge" hatte 1936 die Nachtregatta "Das Blaue Band der Niederelbe" von Hamburg nach Cuxhaven gewonnen.

Manfred Jacob war mit seiner 1924 gebauten "Fram", einem Schwesterschiff von Dr. Manfred Currys I-Jolle, am Start und unterstrich mit dem Sieg in der ersten Wettfahrt einmal mehr seine Favoritenrolle. Mit der "Sassa", Segelnummer I-531, war eine weitere berühmte 22er Rennjolle präsent: Olympiasieger Dr. Peter Bischoff (1936 im 6er) hatte sie 1942 gebaut. Und Georg Schollmeyer recherchiert noch die Geschichte seiner "Bambi". Fest steht, dass die Jolle um 1950 dem Schweizer Hans Brüner gehörte. Das zweite österreichische Boot, die "Siddartha II", ist am Ossiacher See in Kärnten beheimatet und stammt von 1930. Eigner Dr. Theodor Prey steuerte sein Schiff auf der trickreichen Alster so gut, dass alles auf einen Zweikampf mit der "Fram" hindeutete.

So blieb es denn auch. Als besonderes Gastgeschenk hatten die Organisatoren um Horst Reuter (HSC) nach der sechsten Wettfahrt am Donnerstag abend eine große Hafenrundfahrt für die Gäste organisiert, um ihnen einen kleinen Eindruck von Hamburg als Tor zur Welt zu vermitteln. Inzwischen war aus der warmen Sommerbrise ein laues Lüftchen bei schwülwarmer, drückender Hitze geworden, die wie eine Glocke über Hamburg lag. Der Ausgang des Europa Cups blieb bis zur letzten Wettfahrt spannend. Wenn die "Siddartha" vor der "Fram" durchs Ziel geht, hat sie gewonnen, hieß es beim Start um 14.00 Uhr am Freitag. Bei Südost bis Ost Stärke 2 schob sich dann tatsächlich "Siddartha" vor der "Fram" über die Linie und stand somit als Gewinnerin des Europa-Pokals 2002 fest. Zweiter wurde Manfred Jacob, dritter Markus Biehler mit "Sassa", vierter Wolfram Ainetter/Österreich und fünfter Peter Zimmermann mit der "Bordolino".

Das Schöne bei den Regatten traditioneller Boote sind immer die Preisverleihungen. Da geht keiner leer aus. Beispielsweise bekamen die Österreicher vom Ossiacher See eine große Mettwurst und eine Dose Brot als Wegzehrung für die weiteste Anreise. Erster Leidtragender war Hajo Behrendt (I-6) vom Ammersee. Peter Zimmermann (I-445) erhielt den Preis für die schnellste Jolle mit Gaffelrigg nach gesegelter Zeit, außerdem einen Silberteller mit dem Konterfei des berühmten Konstrukteurs Reinhard Drewitz. Wolfram Ainetter bekam den Sonderpreis für den Ersten des zweiten Drittels, Manfred Jacob ein Halbmodell der I-Jolle für den Gesamtzweiten. Jörn Niederländer erhielt für das bestrestaurierte Schiff, die gerade noch rechtzeitig fertiggestellte wunderschöne "Bambi", eine Lithographie. Er hat das Schiff erst vor sechs Jahren in erbärmlichem Zustand in Italien gefunden.

Der Hauptpreis, eine Silberkanne, wurde an Dr. Theo Prey, Matthias Poell und Gerhard Ensbrunner (I-OE 17) vergeben, die die Wettfahrten sowohl nach gesegelter als auch nach berechneter Zeit gewonnen haben. Als sich der Tag neigte, hatte der Hamburger Segel-Club zum Sommerfest eingeladen. Die New Orleans Serenaders machten einen eingängigen Sound. Segler und Gäste genossen noch lange die romantische Stimmung einer lauen Sommernacht, während die Sonne als blutroter Feuerball über der Alster versank. Jazz an einem Sommerabend in Hamburg. Caroline-M. Wierig