"Christine" - Kreuzeryacht

Text, Fotos: H. van der Linden (Stark gekürzter Artikel aus dem Mitgliederblatt des Freundeskreises)



1935 überließ mein Vater mir mit 10 Jahren ein gebrauchtes Arbeitsboot unserer Firma an der Hunte, einem Nebenfluß der Weser. Dieses Arbeitsboot, ein ehemaliges ausgemustertes Rettungsboot von ca. 4,50 m Länge, habe ich dann zum Segelboot umgebaut und noch im Kriege gesegelt. Während meiner zweijährigen Marinezeit blieb es auf unserem Bauhof an Land und ich fand es 1945 wieder, flickte es so gut es damals ging zusammen, bekam vom amerikanischen Govemment in Bremen eine Zulassungsnummer WE 371 als Fischer auf der Weser, der keine Netze, sondern nur ein paar Angeln zum Vorzeigen an Bord hatte.

1947 lernte ich den Yachtkonstrukteur Erich Köppen kennen, der an der Lesum im YCN wohnte und schwere Wattenkreuzer zeichnete, vorwiegend aus Stahl. Die heute noch von meinem alten Seglerfreund Otto Knechtel gesegelte „Sindbad" stammte auch aus seiner Feder. Erich Koppen vermittelte mir gegen 3000 Klinkersteine und Zement den halbfertigen Rumpf eines 7,50 m langen genieteten Wattenkreuzers. Den zugehörigen Bleikiel mußte ich noch aus einer einen Meter tiefen Grube ausgraben. Er war während des Krieges vergraben worden. Der Mann war im Krieg gefallen und seine Frau wußte nur ungefähr, wo das Ding im Garten lag. Aber so kommt man in schwierigen Zeiten zu Gewichten.
Das Segel erhielt ich von Meyerdierks - Vegesack. Hinrich Seggermann brauchte auch Klinker für den Wiederaufbau der zerbombten Werkstatt. Und Klinker konnte ich mit Hilfe meines Vaters besorgen. So war das damals.

1956 war die Weser und das Wattenmeer zu eng geworden; ich war Ingenieur geworden, verdiente Geld, hatte Frau und Kinder und wollte auf See. Anton Miglitsch hatte einen schnellen 7 KR-Kreuzer konstruiert; die bei der Evers-Werft in Niendort gebaute „Helene" gefiel mir. Ich konnte den Wattenkreuzer gut verkaufen und Conny De Dood baute mir den Rumpf. Mast und Takelage der ersten „Christine" für sage und schreibe 17.800 DM. Beschläge, Maschineneinbau und den Innenausbau machte ich selbst.
Wir hatten nun ein gutes Segelschiff, ich wurde Mitglied im Weser-Yacht-Club und der Liegeplatz war der „Armeleutesteg" in Lemwerder. Vorne an lag unser 1. Vorsitzender, Henry Wilkens, mit dem ich nun stets bei Hochwasser am Sonnabend zusammen aus dem Hafen lief. Wir lieferten uns harte Privatregatten und ich lernte viel von ihm. Bald aber hatte er andere Vorzüge bei mir entdeckt: Ich stammte „vom Bau" und er konnte so hoffen, den maroden, zum Verschlicken neigenden Hafen einigermaßen betriebsfähig zu halten. So saß ich bald im Beirat des Vorstandes mit Carl Plump und Horst Lehnert, dem Betriebsleiter von A & R, zusammen.

Conny De Dood rief mich eines Tages, es war 1961 geworden, an und fragte, ob ich mit ihm zwei 7 KR-Schiffe bauen wolle. Er wollte mit seinem Regatten segeln und ich sollte die Tourenversion bauen. Anton Miglitsch hatte einen Formelschinder gezeichnet: 7 KR; breit, an 11,20 m lang mit einem Decksaufbau mit Rundumverglasung. Das gefiel mir, es gab Licht unter Deck und mehr Platz.
Ich konnte die erste Christine gut nach Hamburg verkaufen. Sie segelte später unter dem Namen „Nausikaa". Eigner war P. J. Tiefenbacher.

Mit der zweiten Christine bin ich nicht glücklich geworden. Bei harten NW-Wind war mit ihr kaum aus der Weser heraus zu kommen. Zwar gewann Conny De Dood mit seiner „Esprit" manche Regatta. Natürlich segelte er härter als ich mit meiner Familie. Henry Roßkamp, sein Betriebsleiter, war ehrgeizig - beim Bau und beim Schippern. Aber die Formel war von Anton Miglitsch auch brillant ausgenutzt worden. Bald darauf wurde die KR-Formel geändert und ersetzt, wie das denn so ist, wenn die Entwicklung weitergeht.

Conny wußte, daß ich nicht zufrieden war, und rief mich im Winter 67/68 an, doch mal rüberzukommen. Ein paar Stunden später saß ich William Tripp gegenüber. Gerade aus New York eingeflogen. „Ich bin Bill"; so begann es und es wurde ein langer Abend. Am Ende kam heraus, daß wieder zwei gleiche Schiffe in Abständen von sechs Wochen auf Stapel gelegt wurden. Eine neue „Esprit" und eine „Christine", nun die dritte.
Bill traute mir und gestand mir zu, das Deckslayout und die Einrichtung selber zu zeichnen. Conny De Dood und Henry Roßkamp kannten meine Vorstellungen und setzten diese nach einer Skizze (mehr war es nicht) um. Das flache Plexiglasdeckhaus hatte mir gefallen und es kam auf die neue Christine. Fünf feste Kojen, ohne die „Messesofas", waren für die Familie nötig, für meine engagierte Frau und Smutje eine großzügig bemessene Kombüse, für den Schipper den „Spieltisch", auf dem tatsächlich eine Seekarte damaliger Größe Platz hatte.
Als Motor baute ich in der Bilge trotz Protestes der gesamten Werftbelegschaft einen 20 PS SABB ein, der heute noch genau so drin steht wie vor 30 Jahren und - gut gewartet - mich noch nie im Stich gelassen hat. Einmal die Zylinderkopfdichtung und zweimal die Membranen der Wasserpumpe gewechselt. Das war's in all den Jahren. Zur Not kann man ihn mit der Hand anwerfen. Nur eine neue 3-Flügelklappschraube hat er an Stelle des 2-flügeligen Feststellpropellers erhalten. Das bringt fast einen 1/2 Knoten.
Meine zweite Christine konnte ich „unter Zeitdruck" an Dr. Hoffmann nach Wilhelmshaven verkaufen. Er segelte sie unter dem Namen „Monsun". Ich habe sie aber aus den Augen verloren, als ich hörte, dass Dr. Hoffmann verstorben war.

Bill Tripp war ein genialer Konstrukteur, der viel zu früh durch einen Unfall verstarb. Er war unter der sorgsamen Hand von Olin Stephans aufgewachsen und eine Reihe namhafter Yachten in Amerika und Europa tragen seine Handschrift.
Vom Typ „Esprit" sind neben der „Christine" noch die „Ulyssa" und einige weitere für deutsche Rechnung gebaut worden. Eine ganze Reihe ging nach USA, von denen die „Force Seven" die Bekannteste wurde. Sie überstand vor der amerikanischen SO-Küste einen Hurrikan unbeschadet, während eine ganze Reihe anderer Yachten verloren ging. Adlard Coles schildert das in seinem Buch mit großer Akribie.

Eine kleine Geschichte nebenbei, was auch dem besten Segler passieren kann:
Conny und ich hatten nach gleichem Segelriß unsere Segel bei Hannes Beilken bestellt. Wie üblich wurden sie kurz vor der Nordseewoche 69 geliefert. Ich hatte ja, da ich keine Regatta segeln wollte, noch ein wenig Zeit. Ich wollte nur in den großen Ferien mit meiner Familie in Dänemark Urlaub machen.
Aber Conny hatte Pech, seine Segei waren „Windbeutel". Selten hatte ich ihn, der stets so voller Humor war, so verärgert gesehen. Die Änderungen auf „auf die Schnelle" machten alles nicht viel besser. Ob er dann gewonnen hat, weiß ich nicht mehr. Meine Segel waren exzellent und haben mir treu 25 Jahre gedient. Hannes Beilken war ganz traurig, als ich vor einigen Jahren einen neuen Satz bei ihm bestellte. Sein Kommentar: Bei dieser Lebensdauer kann ein Segelmacher kaum überleben. So kann man es auch sehen.



Die „Christine" ist in all den Jahren unserer Familie, und als die Kinder flügge wurden, meiner Frau und mir, ein zuverlässiges, seetüchtiges und schnelles Seeschiff gewesen.
In den ersten Jahren in der Nordsee bis nach Schottland und Norwegen, später dann von ihrem Liegeplatz in Fehmarn bis nach Finnland und heute als alte Dame gelegentlich mit guten und erfahrenen Freunden durch die dänische Inselwelt.
Einen Versicherungsschaden habe ich in all den Jahren nicht gehabt. Mein Versicherer, die Firma „Wuppesahl" in Bremen sagt, sie wäre ganz zufrieden mit mir. Aber außer einem namhaften Schadensfreiheitsrabatt habe ich noch keinen Orden bekommen.

Zur Werft De Dood vielleicht noch ein paar Zeilen.
Mit Conny De Dood und seinem tüchtigen Betriebsleiter verband mich neben einer vertrauensvollen Zusammenarbeit eine gute, dauerhafte Freundschaft. Wir sprachen oft über die Zukunft der Werft, als wir den Kunststoffbootsbau kommen sahen, unabänderlich. Conny war Optimist, Henry suchte nach Auswegen im Holzbootbau.
Für einen Freund, der sich bei Huismann in Holland die „Avenir" bestellt hatte, - ein von van der Staadt gezeichnetes 10 m - Aluschiff - war ich nach Holland gefahren, um mir den Alubootsbau, damals in den ersten Anfängen, anzusehen.
Ich war beeindruckt von der Professionalität mit der Huismann mit seiner damals noch kleinen Mannschaft konsequent auf den Alubau zuging. Und er hat recht gehabt; heute ist er „königlich" und einer der Größten und Besten.
Ich berichtete Conny und Henry. Beide verhielten sich merkwürdig reserviert. Zehrten wohl auch noch von ihren Erfolgen mit der „Diana" von Thomas, dann „Roland", „Tamo" und vielen anderen. Sie hatten fast A & R - Standard erreicht und manches mal habe ich Olin und Rod Stephans bei ihnen angetroffen.
Den Rumpf einer ersten Kunststoffyacht für amerikanische Rechnung ließen sie, wenn ich mich recht erinnere, bei Fassmer an der Unterweser bauen, der mit Kunststoffrettungsbooten einige Erfahrung gesammelt hatte.
Da der amerikanische Eigner „pinselig" war, bekamen sie prompt Ärger und das mag zu ihrer Abneigung beigetragen haben.
Auf den Alubau wollten sie sich jedenfalls nicht einlassen und bestellten statt dessen bei Britton Chance einen ca. 32" - Riß, ließen sich für teueres Geld eine Form bauen und die Spitzenbootsbauer bauten ein Schiff, das auf der Hamburger Messe hoch gelobt wurde. Leider war es 15 % zu teuer und mußte es auch bleiben Die Qualität war einfach zu gut.
Die „Bootsbauer" im Binnenland, die alles andere als Bootsbauer waren, machten es fast genau so gut und wesentlich billiger. Anton Miglitsch zeichnete für die Neptunwerft tief im Binnenland eine „Neptun", die wohl tausend mal gebaut wurde und heute noch segelt, obwohl die Werft inzwischen auch das Zeitliche gesegnet hat.
So ging es also nicht und als Henry über ein halbes Jahr in diesem kleinen, auf ihn fixierten Betrieb durch eine Krankheit ausfiel und nach seiner Rückkehr Conny, nachdem er schon ein Bein verloren hatte, vor großen gesundheitlichen Problemen stand, war das Ende dieser kleinen, hochkarätigen Werft besiegelt.
Einen letzten Auftrag konnte ich ihm noch besorgen, damit er seine Mannschaft, alles die besten Fachleute, die es gab, zusammenhielt. Es war der Ausbau eines 40 to-Motorseglers von Sparkman und Stephans.
Als Rod Stephans zu seinem üblichen Abnahmecheck anreiste, durch die Werft gegangen war und ich mit ihm das Programm besprach, sagte er mir unverhohlen; das wäre nun wohl sein letzter Besuch auf der Werft gewesen. - Das war es auch.
Einige Zeit darauf rief Conny an und bat mich, herüberzukommen. Ich traf ihn krank und angeschlagen an. Er fragte mich, ob ich die Werft übernehmen wollte. Mit einer kleinen hochmotivierten Mannschaft könnte man Spezialaufträge ausführen. Ich hatte weder die Zeit noch das richtige Konzept. Zu viele Werften gleicher oder ähnlicher Verfassung standen vor dem selben Problem. Ernst Burmester, die guten Schleswig Holsteiner Werften, alle hatten die gleichen Sorgen. Zudem kam bei De Dood erschwerend hinzu: er saß oberhalb der Weserschleuse.
Bevor man die Werft erreichen konnte, mußte man die Bremer Brücken und die Schleuse passieren. Für einen Reparaturbetrieb absolut ungeeignet. Und die erhofften Ansätze einer Wiederbelebung, wie wir sie heute verzeichnen, waren absolut nicht sichtbar.
Ich sagte ab. Wenige Tage später machte er dicht. Ich fuhr mit einem Laster noch einmal rüber, wir beide gingen durch sein mit besten amerikanischen Bronzebeschlägen usw. gefülltes Magazin und ich kaufte ihm ab, was er mir geben wollte.
Alles andere ging dann, wie man so sagt, den Berg herunter. Für mich traurig anzusehen, hatte ich doch mit dem Kern seiner Truppe fast zwei Jahrzehnte ohne jede Schwierigkeit zusammengearbeitet.
Dabei hatte ich unendlich viel gelernt. Beim Bau der dritten „Christine" - der Rumpf besteht aus zwei Lagen längs verleimter und mit Bronzeschrauben verbundener Ma-hagoniplanken, - war ich jeden Nachmittag, den ich in meiner Firma entbehren konnte, auf der Werft. Ich kenne heute jedes Holz , jede Verbindung.

Nach einem Unfall vor einigen Jahren konnte meine Frau nicht mehr an Bord die Hand sein, die nötig ist, ein 10 to Schiff gewissenhaft mit zu führen. Sie blieb schweren Herzens an Land und ich baute mir mit dem Schweriner Bootsbauer Franz Köhn nach fast 100 Jahre altem Riß von Nat. Herreshoff eine Kielschwertküstenjolle, die ich Jetzt allein bei jedem Wetter auf der Mecklenburger Bucht segele.
Viele Schiffe habe ich gesegelt, manche selbst gebaut in meinem Leben, aber noch nie habe ich ein so phantastisches kleines Seeschiff gesegelt, wie diese knapp 5 m lange, gaffelgetakelte Jolle. Der alte Herreshoff war doch ein begnadeter Konstrukteur und so habe ich mich in meinem Alter, nun wohl zum letzten mal entschlossen, eine gleiche, etwas größere „auf Stapel" zu legen. Ebenfalls von Herreshoff gezeichnet und in „Wooden Boat" veröffentlicht, von wo ebenfalls die Pläne kommen.


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