PFLEGE & RESTAURIERUNG

Rettet, erhaltet und segelt die Yachtklassiker, ändert sie nicht!

Albert Obrist: "Wer Ästhetik, Klasse und Wertbeständigkeit einer authentischen alten Yacht sucht, hat in meinen Augen die Pflicht, zu retten, was zu retten ist. Wer das Bequeme sucht, sollte neu bauen/kaufen."

Mit der detaillierten Instandsetzung des William Fife-Schoners „Altair" bei Southampton Yacht Services startete Albert Obrist. Mit „Tuiga", „Fulmar" und „Kentra" setzte der Basler Fabrikant seit 1987 in der Werft Fairlie Restorations eigene Maßstäbe. Das Prinzip des authentischen, an der Wiederherstellung des Originals orientierten Yacht-Refits erläutert Obrist im Interview mit Erdmann Braschos. Es gilt für kleine wie für große Boote und gibt sicher auch Antwort auf manche Frage in unserem Forum "Restaurierung", wie denn nun diese oder jene Restaurierungsmaßnahme durchzuführen sei. Sein Appell an die gegenwärtige Eignergeneration: “Rettet, erhaltet und segelt die Yachtklassiker, ändert sie nicht.”

E. Braschos: Ist es nicht großartig, wenn letzte Exemplare der J-Class-Ära von 1930 - 37 zu neuem Leben erweckt und neu zu Wasser gelassen werden?

Obrist: Ja, aber was wird denn daraus gemacht? Was passierte mit „Endeavour" und neulich mit „Velsheda"? Abgesehen vom Namen haben diese Schiffe mit dem Original nichts mehr zu tun. Die Eigner haben die Ameri-ca's Cup-Klasse mit Komfort vollgestopft, den es früher nicht gab.

E. Braschos: Warum sollen vermögende Auftraggeber die Schiffe nicht nach eigenem Gusto für ihre Pläne herrichten?

Obrist: Es ist völlig klar, daß Zugeständnisse an unsere Zeit und Sicherheitsstandards nötig sind. Bevor ich „Altair" restaurierte, verbrachte ich mehrere Urlaube auf Klassikern, habe „Cotton Blossorn", „Belle Aventure" und auch die „Shenandoah" gechartert, mich mit Paul Goss beraten, um herauszufinden, welches Schiff zu meinen Plänen paßt. Das Problem vieler Eigner ist, daß sie nicht so unbequem wie ihre Vorfahren segeln wollen, zugleich mit ihrem Schiff deren Lebensart, Ästhetik und Naturnähe suchen. Sie wollen einen Klassiker, aber auf nichts verzichten. Dann kommen solche Hybride, solche Look-alikes heraus wie „Adela" oder „Velsheda". Die sind weder Fisch noch Fleisch, weder alt noch modern.

E. Braschos: Reden wir über die nötigen Zugeständnisse.

Obrist: Natürlich muß ich Kompromisse machen: Heute haben wir mehr Häfen. Leider sind sie für große klassische Yachten speziell im Mittelmeerviel zu eng und meistens zu voll. Also brauche ich eine Maschine, um überhaupt heil da rein zu kommen. Ich brauche weitere Hilfen zum Betrieb und Bordleben: einen Generator, Batterien, einen Seewasserentsalzer, Tanks ...

E. Braschos: ...und Winschen...

Obrist:... kommt drauf an. „Tuiga" hat, abgesehen vom Ankerspill, auch heute keine. Dieser 15er wird komplett mit Muskelkraft über Taljen bewegt. Die Eignergemeinschaft des Yacht Club de Monaco hat einen Riesenspaß damit.

E. Braschos: Die Einsatzmöglichkeiten eines solchen Daysailors sind begrenzt.

Obrist: Man kann aus einem Daysailor keinen Luxusliner für weltweite Fahrt machen. Wir müssen die alten Yachten erhalten, wie sie einmal waren, dürfen sie nicht vergewaltigen.

E. Braschos: Welche Kompromisse sind vertretbar?

Obrist: Ich würde mit der Klärung der Bedürfnisse anfangen: Wer unter Deck den Komfort einer Suite im Hilton oder Hyatt erwartet, mit Stromfressern wie Klimaanlage, Eisbox, Jacuzzi, Sauna oder akustischer Berieselung, sollte den nötigen Maschinenpark nicht in einen Klassiker mit feinen Linien stopfen. Er sollte sich ein modernes Schiff zeichnen lassen, wo diese Dinge reinpassen.

E. Braschos: Also entweder oder?

Obrist: Ich darf mich nicht zu der Anmaßung hinreißen lassen, die Entwürfe von Nicholson, Fite oder Herreshoff zu ändern. Diese Konstrukteure und Bootsbauer wußten damals genau, was sie taten. Und sie hatten kundige Auftraggeber. Früher wußte man zum Beispiel, wie ein Schiff wirksam mit Luken zu belüften ist. Es wäre eine Sünde, in ein Schiff wie „Altair" eine Klimaanlage einzubauen. Nicht mal in der Karibik habe ich eine vermißt!

E. Braschos: Wie sieht der Weg der Restaurierung aus?

Obrist: Der erste Schritt ist ein klares Konzept zur Instandsetzung des Objekts. Man sollte es aufschreiben und niemals ändern. Die größte Gefahr für ein Projekt sind die Änderungen auf halber Strecke. Mit immer neuen Vorstellungen wird die ursprüngliche Idee verwässert, das Schiff zerstört. Ich weiß, wovon ich rede. Ich wurde damals bei „Al-tair" bombardiert mit Fragen und fixen Ideen.

E. Braschos: Eine Bauaufsicht könnte helfen.

Obrist: Kommt drauf an. Wenn es ein guter, unbestechlicher Mann vom Fach ist, ja. Er muß die Sache mehr lieben als das Geld, das er verdient. Ansonsten würde ich sagen: Je weniger Leute am Projekt beteiligt sind, desto größer die Aussichten zum Gelingen - von den Bootsbauern natürlich abgesehen.

E. Braschos: Oft ist nicht mehr viel Erhaltenswertes übrig, hört man.

Obrist: Das behaupten Konstrukteure, Werften und Eigner meistens, weil sie kaum Interesse am Erhalt der Substanz haben. Die Branche lebt vom Ändern. Es ist viel mehr zu erhalten, als nachher zugegeben wird. Damals wurde mir „Heartsease", die heutige „Adela", zum Kauf angeboten. Ich weiß genau, wieviel vom Interieur vorhanden war.

E. Braschos: Warum liegt Ihnen so viel am Interieur?

Obrist: Das Kriterium für mich, ein Schiff zu kaufen, ist die Inneneinrichtung. Die Linien des Bootskörpers sind praktisch immer per Halbmodell oder Zeichnung festgehalten. Mastenbauer, Takler und Segelmacher haben meistens etwas in ihren Schubladen hinterlassen. Das Rigg ist für mich Verbrauchsmaterial - es verschleißt wie eine Kupplung im Auto. Experten wie Spencer in Cowes wissen auswendig, wie Gaffeln, Bäume oder Masten früher aussahen. Aber das Interieur wurde früher kaum gezeichnet. Der Kajütausbau wurde nach Gefühl und auf Zuruf in der Werkstatt getischlert. Deshalb ist es eine große Dummheit, alte Yachtinterieurs wegzuschmeißen. Jedes Schiff war unter Deck anders. Bei uns steht „Mariquita". Gehen Sie mal den Niedergang von „Mariquita" hinab. Sie stehen eine Etage tiefer und in einer anderen Welt. Das Schiff ist eine Zeitmaschine - dank seiner Inneneinrichtung. Wer da unten die Taschenlampe anknipst, wird verrückt. Es ist einfach alles, alles da: Vertäfelungen, schwimmende Schotten, Intarsien, Türen, french polishing wie in einem großbürgerlichen Salon der Jahrhundertwende, herrlich! Wenn der richtige Eigner kommt und uns die Instandsetzung in Arbeit gibt, nehmen wir „Mariquita" Stück für Stück auseinander, reinigen und reparieren sie, ersetzen morsche Hölzer, beizen sie wie damals und bauen das Schiff wie einst in Fife-Qualität. „Mariquita" ist die einzige erhaltene 19-m-R Yacht. Sie ist wertvoll wie ein Saurier.

E. Braschos: „Mariquita" ist ein Glücksfall. Oft sind nur Fragmente übrig.

Obrist: Um so wichtiger ist es, gerade die Reste zu erhalten. Dann gibt es wenigstens eine Vorlage zur stilistisch passenden Ergänzung. Da wir über mehrere Wracks verfügen, das Fife-Archiv mit über 1200 Dokumenten verwalten und Experten beschäftigen, können wir fehlende Ausbauten rekonstruieren und stilgetreu hinzufügen. Andere Werften verbrennen alte Yachtinterieurs. Das ist ein Verbrechen. Die Leute haben einfach kein Gefühl für den Charakter ihres Schiffs. Die Wracks werden entkernt und innen völlig neu ausgebaut. Dem „Shenandoah"-Eigner war das alte Teak zu dunkel. Bei „Creole" hat Gucci zu viel des Guten getan, ein betont schilfiges Imitat geschaffen. Grundsätzlich meine ich: Wenn jemandem ein Schiff nicht paßt, soll er die Finger davon lassen.

E. Braschos: Was kostet die Rettung einer klassischen Segelyacht wie „Tuiga"?

Obrist: Weniger als ein Umbau: eine Million Pfund.

E. Braschos: Einschließlich des Wracks?

Obrist: Natürlich. Die historische Substanz stellen wir bereit.

E. Braschos: Wie kann die Restauration günstiger sein als ein Umbau?

Obrist: Wer einmal damit anfängt, das Konzept eines Schiffes zu leugnen, öffnet ein Faß ohne Boden. Wenn Sie auf das Nettogewicht einer alten J-Class brutto draufbuttern, schwimmt das Schiff tiefer. Es funktioniert nicht mehr. Ballast muß raus, die Bordwand und das Heck werden geändert, ein leichter Karbonmast hernach: Es ist ein Jammer, was aus „Velsheda" gemacht wurde. Mit dem korrigierten Freibord wurde die Überladung kaschiert. Ein verbauter Klassiker ist später kaum verkäuflich. Ein historisches Schiff, welches seinen Namen zu recht trägt, behält oder steigert seinen Wert. Es ist allein im Interesse des späteren Verkehrswerts klüger, einen Klassiker in seinen Urzustand zu versetzen.

E. Braschos: Die Grenzen sind fließend. Bereits der Einbau eines Seewasserentsalzers ist ein Stilbruch.

Obrist: Fragt sich nur, was für einer. Den Seewasserentsalzer brauche ich, um das Schiff nicht mit randvollen Frischwassertanks zu ersäufen. Er bricht nicht mit der Konzeption der Yacht. Im Gegenteil: Er hilft, die originale Wasserlinie zu behalten. Ich bin kein Technikfeind, sondern ein Freund intelligenter, moderner Lösungen: allerdings nur dort, wo ich mit traditionellen Rezepten nicht weiter komme. Wenn ich aber hingehe, den Rumpf einmal von oben nach unten durchsäge, ihn verlängere und mit einem komplett neuen Flossenkiel zu Wasser lasse, kann von einer Yachtrestauration keine Rede sein.

E. Braschos: Nun gibt es Segler, die solch ein schönes Schiff haben, ihre Freizeit mit einem großen Namen nobilitieren wollen.

Obrist: Das ist vermutlich der einzige Grund, warum sie es tun. Und dann lassen sie es auch noch blau streichen. „Velsheda" war immer weiß! Die Eigner wollen Gegenstände mit einer historischen Aura und geben dann ihre Zerstörung in Auftrag. Berater, Ingenieure, Werften und Lieferanten rechtfertigen ihr Handeln mit der Weisung des Eigners, der Eigner beruft sich auf die Empfehlungen seiner Berater. Am Schluß will es niemand gewesen sein. Dabei sind es Eigner, die ihr Schiff Konstrukteuren und Werften für eigene Experimente überlassen.

E. Braschos: Experimente?

Obrist: Wer „Adela", ex „Heartsease", mit Segelfläche überfrachtet und den Fockmast oben mit einer Spreizgaffel bestückt, daß der Druck des Gabelbaums den Mast einer ungesunden Torsion aussetzt und der Gabelbaum wieder entfernt werden muß, macht Experimente.

E. Braschos: Das Whishbone-Rigg ist eine uralte Erfindung. Es ist selbst klassisch.

Obrist: Kann ja sein. Aber „Adela" hatte eben keine Spreizgaffel. Erbe verpflichtet. Mein Freund Eric Tabarly segelte Jahrzehnte seine „Pen Duick", einen bald hundert Jahre alten William Fife-Kutter. Er segelte ihn - übrigens oft schneller als die deutlich größere Konkurrenz - er hielt und behielt ihn, wie er war. Warum können wir Menschen die Dinge nicht einfach lassen, wie sie sind?

E. Braschos: Was hätte mit „Velsheda" geschehen sollen?

Obrist: „Velsheda" ist mehrmals vermurkst worden, weil der richtige Eigner nicht da war. Es wäre besser gewesen, sie wäre reichlich verwohnt als Hausboot im Modder stecken geblieben und die Pensionäre hätten weiter ihren Tee an Bord gekocht.

E. Braschos: Woher nehmen Sie die Gewißheit entscheiden zu können, wer der Richtige ist?

Obrist: Ganz einfach: Solche Schiffe brauchen Eigner, die sie nutzen wie damals.

E. Braschos: Als 40 Meter langen Daysailer? Wer soll das bezahlen?

Obrist: Das Geld, daß die Leute in den Umbau stecken, wäre in den „artgerechten" Betrieb des Schiffes besser investiert. Der Herr Stephenson hatte damals zwei Tender. Was gibt es schöneres, als den Tag an Deck von „Velsheda" zu verbringen und sich sein Schiff beim Abendessen von der Poop der nebenan verankerten Motoryacht anzusehen? Das ist Lebensart. Der alte Woolworth-Boß hatte sie. Seine seglerischen Bedürfnisse befriedigte er auf dem Solent. Gewohnt und gespeist wurde woanders. Das Geld ist für die Betreiber solcher Yachten heute nicht das Problem. Vielleicht läßt sich die fehlende Sensibilität vieler Yachteigner damit erklären, wie sie zu Geld gekommen sind.

E. Braschos: Wie restaurieren Sie, Herr Obrist?

Obrist: Am liebsten in eigener Regie. Der Eigner sucht sich ein Wrack aus, das wir auf dem Kies am Hamble River oder in der Halle bei Fairlie Restorations stehen haben und läßt uns machen. Der ideale Auftraggeber bekommt dann einen mustergültig instand gesetzten Klassiker. Ich sage meinen Leuten immer: Wir liefern Fife-Qualität. Wir arbeiten mit minimalem Overhead und konzentrieren uns voll auf den Bootsbau. Wir sind klein, flexibel und machen bei der Qualität keine Kompromisse. Wir behandeln ein Wrack wie einen alten Schweizer Chronographen. Der läßt sich auch nicht verbessern, höchstens reinigen und instandsetzen.

E. Braschos: Sie schaffen ein Yachtmuseum?

Obrist: Nein. Eine Yacht ist ein Gebrauchsgegenstand, ein alltagstaugliches Kulturgut. Eine „Fife" ist zum Angucken viel zu schade. Unsere Eigner nutzen, bewohnen ihre Schiffe und lieben sie wegen einer ganz besonderen Qualität. Wer über das Deck von „Tuiga" oder „Kentra" geht, spürt sie.

E. Braschos: Für manchen Auftraggeber wurde die Restauration seines Schiffs zum Alptraum.

Obrist: Solche Projekte werden zum Alptraum, wenn die Eigner Überraschungen nicht einkalkulieren. Keine seriös arbeitende Werft der Welt kann einen Festpreis für ein Schiff abgeben, wenn sie es nicht auseinander genommen hat. Erst während die Arbeit gemacht wird, kann sie wirklich sagen, was es kostet. Viel mehr, als daß bereits die Preisvorstellung einer Werft einiges über ihre Seriösität aussagt, möchte ich dazu nicht sagen.

E. Braschos: Heute werden klassische Yachten nachgeahmt, mit modernem, flachem Unterwasserschiff, Flossenkiel und freistehendem Ruder. Sie haben lebendige Segeleigenschaften und drehen im Hafen auf der Stelle.

Obrist: Die alten Zeiten lassen sich nicht mit einer Replik herbeizaubern. Man soll nie so tun als ob.


E. Braschos: Wie oft haben Sie bei „Altair" in Southampton nach dem Rechten gesehen?

Obrist: Im Durchschnitt alle drei Wochen. Das war auch nötig. Wenn ich mich schon dazu überreden lasse, aus Sicherheitsgründen neue Fenster ins „Altair"-Deckshaus einzusetzen, dann bitteschön in der gleichen Machart und ohne in die Ecken gestempelte Herstellernachweise.

E. Braschos: Sind Sie pedantisch?

Obrist: Ich bin Perfektionist.

E. Braschos: Jetzt zerlegt Ihre Werft „Hispania" von 1909, die sechste Fife-Restauration...

Obrist:... das Schwesterschiff zu „Tuiga". Die beiden 15er entstanden vor knapp 90 Jahren, als Eintagsfliegen zum Regattasegeln, und existieren heute noch! Selbst die Intarsien von König Alphonso XIII. von Spanien sind noch da. Eine weitere 15-m-R Yacht, die „Lady Anne", haben wir auch noch. Mit mehreren authentischen Schiffen wird die Illusion perfekt: Fife-Eigner inszenieren ihren Traum vom goldenen Zeitalter des Segelsports - nicht allein für sich, sondern für alle, die zugucken.

E. Braschos: Der Blick des Connoisseurs auf ein beinah vergessenes Segelzeremoniell?

Obrist: Nennen Sie ihn, wie Sie wollen. William Fifes Schiffe sind herrlich, sie machen glücklich und geben fähigen Bootsbauern die Arbeit, die sie verdienen. Segeln interessiert mich nicht besonders. Mich interessiert der Weg zu den Schiffen, die Restauration und die Ästhetik des fertigen Produkts.



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