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Kobold-Preis der klassischen H-Jollen

"Das meiste im Leben ist Durchschnitt. Gut ist besser, schlecht ist schlechter als das Mittelmaß. Will man aber ganz oben sein, kann man es sich nicht leisten, auch nur dem kleinsten Faktor gegenüber gleichgültig zu sein."
(Auszug aus: Alster Piraten Club (Kai Krüger) Hamburg 1997, Walter von Hütschler, Segeln – mein Leben, S. 93,)

1929 gewinnt ein junger, gerade mal 23jähriger Segler aus Hamburg auf der Außenalster in der 15-qm-Binnenfahrtklasse (F-Jolle), der 15-qm-Wanderjolle des Deutschen Segler-Verbandes, einen vom damaligen ersten Vorsitzenden des Norddeutschen Regatta Vereins (NRV), Dietrich Fischer, gestifteten Sonderpreis, einen silbernen Sektkübel mit Wildschweinhauern. 73 Jahre später, 2002, spürt nach intensiver Suche der ehemalige Obmann der klassischen, in Vollholz gebauten H-Jollen, Michael Krieg, die Trophäe in der Schweiz bei der Tochter des inzwischen verstorbenen Siegers wieder auf und kann diese dazu gewinnen, diese als ewigen Sonderpreis der Klasse erneut zu stiften.

Der damalige Gewinner war kein Geringerer als der 1906 in Sao Paulo geborene Walter von Hütschler. Sein aus Brake eingewanderter Vater machte die Brauerei Antarctica zur größten in Südamerika. Nach dem Tode des Vaters kehrte die Mutter mit den beiden Söhnen nach Deutschland zurück und ließ sich in Hamburg nieder. Seinen brasilianischen Pass hat von Hütschler zwar nie gegen einen deutschen eingetauscht, sich aber immer als Deutscher, vor allem als Hamburger, gefühlt. Hamburg war seine Heimat, dort ist er aufgewachsen, hat segeln gelernt, seine ersten Regatten gewonnen. Schon mit 16 wurde "Pimm", so sein in der Seglerwelt bekannter Spitzname, mit seinem ersten segelbaren Untersatz fast Jahresbester in den Alster-Verbandsregatten, vier Jahre später, 1926, gewann er den berühmten, für die 22er Nationale Rennjolle (J-Jolle) ausgeschriebenen Seglerhaus-Preis auf dem Berliner Wannsee und in den 1930er Jahren wurde er dann sogar zweimaliger Weltmeister in der Starboot-Klasse. Ein seglerisches Ausnahmetalent, das nicht nur in vielen damaligen Jollenklassen erfolgreich war, sondern sich auch stets um die Verbesserung von Trimmeinrichtungen bemühte. So galt er z. B. als Erfinder des flexiblen Riggs, der heute üblichen Großschotführung, des Baumniederholers und der Fockholepunkt-Verstellung.

Die 1925 vom damaligen D.S.Vb. gegründete 15-qm-Binnenfahrtklasse mit dem Unterscheidungszeichen F im Segel galt in Jollen-Seglerkreisen als vielseitige zu verwendende Alternative zu den Rennjollen und hatte sich vor allem im Berliner Raum, wo sie 1925 als weitere Verbandsjolle entstanden war, immer mehr verbreitet. In Hamburg spielte sie auf der Alster trotz etlicher Bemühungen, sie auch hier stärker zu etablieren, damals nur eine kurzfristige Rolle. Der angesprochene NRV-Vorsitzende Fischer wollte die Klasse stärker protegieren und stiftete 1929 anlässlich der Herbst-Verbandswettfahrten auf der Alster zur Sonderwettfahrt des Norddeutschen Regatta-Vereins einen Sonderpreis, den sogenannten "Kobold-Preis". Während viele seiner anderen Trophäen während des Zweiten Weltkrieges verloren gegangen waren, war dieser Preis mit von Hütschler, der 1939 vor Ausbruch des Krieges Deutschland wieder verlassen hatte, nach eigenen Aussagen, um die halbe Welt gereist und hatte ihm "später, in dem schmorenden Brasilien noch wertvolle Dienste erwiesen" (ebenda – S. 41). Der Grund: Er nahm den Pokal mit ins Ausland, bewahrte ihn aber nicht mit vielen seiner anderen Preise auf, die nach Torpedobeschuss durch ein deutsches U-Boot, als von Hütschler mit seinem Hab und Gut die USA Richtung Brasilien verlassen hatte, verloren gegangen waren.

1933, als der damalige Freie Segler-Verband verboten und der Deutsche Segler-Bund mit dem Verband zwangsvereinigt wurde, wurden die F-Jollen des Segler-Verbandes den fast baugleichen 15-qm-Wanderjollen des Segler-Bundes, den noch heute bekannten H-Jollen, zugeordnet und bis 1970, technisch immer wieder verbessert, in Vollholz weitergebaut. Viele der bis heute noch mit Gaffel und Holzvorstag, seit Mitte der 1960er Jahre aber auch mit Alurigg ausgerxsteten Jollen xberlebten die Kriegs- und Nachkriegsjahre und feierten seit den 1980er Jahren bei Freunden klassischer Jollen eine erfreuliche Renaissance. Sehr um den Erhalt dieser inzwischen bis zu 85 Jahre alten H-Jollen war der Bosauer Michael Krieg, profunder Kenner der Entwicklung des Jollensegelsports in Deutschland. Auch auf der Hamburger Binnenalster sind seit den 1990er Jahren viele Vollholz-H-Jollen beheimatet und z. B. regelmäßige Gäste der seit 20 Jahren vom Hamburger Segel-Club (HSC) organisierten Holzboot-Regatta, "Hamburg Summer Classics".

Die Idee, nach dem von Walter von Hütschler 1929 gewonnen "Kobold-Preis" zu suchen und diese Regatta für die klassischen H-Jollen in Erinnerung an ihren historischen Auftritt 1929 auf der Alster erneut ins Leben zu rufen, kam Michael Krieg im Frühjahr 2002, also vor zehn Jahren. Zuerst war geplant, das Treffen auch vom HSC durchführen zu lassen. Dieser gab dann aber schnell sein Einverständnis zur Durchführung einer weiteren Regatta für Vollholzboote, als entschieden war, dass der NRV bereit war, das Treffen unter dem historischen Namen zu organisieren.

Aus der Biographie erfuhr Michael Krieg dann, dass sich von Hütschler seit Beginn der 1980er Jahre für den Rest seines Lebens endgültig  in Deutschland niedergelassen und mit seiner letzten Lebensgefährtin, Edith Ochsenreither, zusammengelebt habe. Die Adresse der ehemaligen Opernsängerin aus Hamburg war schnell in Erfahrung gebracht und Vergangenheit wurde wieder lebendig. Krieg hatte eine Geschichte angerührt, die für die Beteiligten eigentlich längst erledigt zu sein schien. Es folgte eine Reihe aufschlussreicher und  interessanter Telefonate und Briefwechsel. Fotos tauchten auf ... und mit ihnen die Gewissheit, dass der Pokal noch existierte. Über den NRV bekam er dann die Adresse der in der Schweiz lebenden Tochter Walter von Hütschlers und schnell die erfreuliche Rückmeldung, dass der Preis tatsächlich existiere und dem NRV und der Klassenvereinigung leihweise als Sonderpreis zur Verfügung gestellt werde. Er müsse aber persönlich aus der Schweiz geholt werden. Entsprechend machte er sich 14 Tage vor dem ersten Kobold-Preis neuer Zeitrechnung auf den Weg, um die kostbare Trophäe nach Norddeutschland zu holen.

Das Original scheint nachweislich einer der ältesten erhaltenen Pokale einer deutschen Jollenklasse zu sein und dient der Regatta, die in diesem Jahr vom 08. – 10. Juni und wie immer auf dem (fast) historischen Kurs von 1929 ausgetragen wird, als "Schirmherr" der Veranstaltung. Er wird seitdem in Übereinkunft mit den Organisatoren und dem Veranstalter jährlich als Auszeichnung für eine besondere Tat, die im Zusammenhang mit dieser Regatta steht, vergeben. Er wird symbolisch verliehen und verbleibt über das Jahr sicher verwahrt in den Vitrinen des Vereins.

Es bleibt zu erwähnen, dass er im letzten Jahr aus den oben erwähnten Gründen an Hilke und Horst Reuter vom HSC vergeben wurde, weil sie eben beide als Organisatoren der Summer Classics, der Holzbootregatta des HSC, ihr Einverständnis gaben, dass mit dem Kobold-Preis eine weitere Holzbootregatta auf der Alster stattfinden konnte. Dass diese Ehrung vielleicht eine der letzten war, die Horst Reuter, der so unerwartet am 20. Februar verstorben ist, erhalten hat, erfüllt die Klasse noch nachträglich mit Stolz, bewahrt sie dieser in Seglerkreisen so bekannten und beliebten Persönlichkeit für immer ein ehrendes Gedenken.

Wer übrigens noch einmal alle bisherigen Preisgewinner und die Regattaberichte nachlesen bzw. einige schöne Fotos des Geschehens betrachten möchte, kann dies auf der Homepage dieser Veranstaltung unter www.kobold-preis.com tun und auch dort seine Meldung abgeben.
Michael Krieg



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