PFLEGE & RESTAURIERUNG

Joachim Kaiser: Yachtrestaurierungen - Ego-Trip oder Kulturleistung ?

- Segelanweisung durch einen Begriffsdschungel -

Zusammenfassung seines Vortrags auf dem "Classic Yacht Symposium" 2015, veröffentlicht in der "Klassiker"-Ausgabe 2/15


Die im Zusammenhang mit Restaurierungen oft, häufig seufzend gestellte Frage: „Warum tut man sich das eigentlich an?“, kennt viele Antworten, die sich meist irgendwo zwischen den beiden Extremen „Selbstverwirklichung“ und „Kulturleistung“ verorten lassen. Die Pole dieses Spannungsfeldes müssen wir erstmal kurz ausleuchten: Das Streben nach Selbstverwirklichung ist ein Teil der Persönlichkeitsentwicklung, kann die unterschiedlichsten, durchaus auch fragwürdigen Blüten treiben, ist in jedem Falle ein höchst individueller und nur schwer mess- barer Vorgang. Die Erschaffung oder Pflege von Kulturgut dagegen ist eine Leistung von hohem Stellenwert im Wertekanon unserer Gesellschaft, die mit konkreten Leistungen und mess- baren Qualitätsstandards verbunden ist. Unter „Kulturleistung“ versteht man alle kulturellen und auch zivilisatorischen Errungenschaften der Menschheit, beginnend mit der Herstellung von Werkzeugen, der Nutzbarmachung des Feuers bis hin zu Ackerbau und Viehzucht, von der Herstellung von Musikinstrumenten bis hin zur Erfindung der Schrift. Oder, um auf unser Kernthema hinzusteuern, die Herstellung von Booten, später Schiffen, erst Frachtseglern, dann Dampf- und Motorschiffen, ein sich über Jahrtausende hinziehender Schöpfungsprozess. Und als die Krönung des Holzschiffbaus verstehe ich den rein handwerklichen Bau hölzerner Yachten - zweifellos eine der großen Kulturleistungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Folglich sind auch Rettung, Restaurierung und Konservierung von solchem kulturellen Erbe als kulturelle Leistungen anzusehen und ihr Betrieb als Kulturpflege.

DIE DENKMALPFLEGE UND IHRE BEGRIFFLICHKEITEN

Als Kulturgut und Kulturerbe werden sowohl materielle als auch immaterielle Güter bezeichnet wie zum Beispiel Musik, Lyrik, Literatur und Sprachen. Die Objekte der Denkmalpflege dagegen sind stets materieller Natur. Wirft man einen genaueren Blick auf die materiellen Hinterlassenschaften früherer Epochen oder Kulturen, so betritt man, sofern sie als Großobjekte im Freien stehen oder liegen, das Terrain der Denkmalpflege, für die empfindlichen und kleineren ist der finale Verwahrungsort entweder das Museum bzw. dessen Magazin oder eine ähnlich ausgerichtete Sammlung. Sind letztere im Schutz dicker Mauern weitgehend gegen Alterung, Verfall und Diebstahl geschützt, ein erheblicher Teil aber auch für die Öffentlichkeit verborgen, spielt sich die Fortexistenz des Denkmals im Freien und damit im Öffentlichen Raum ab. Als Denkmalpflege bezeichnet man alle Maßnahmen zum langfristigen Erhalt oder zur Wiederherstellung von Kulturdenkmälern, arbeitet also sowohl wissenschaftlich als handwerklich. Denkmalschutz dagegen befasst sich mit rechtlichen Anordnungen, Verfügungen, Genehmigungen, Auflagen oder Untersagungen, welche die Denkmalpflege sicherstellen, ist also eher auf Rechtspflege ausgerichtet. Beide, Denkmalpflege und Denkmalschutz, können ihre Wirkung erst im Zusammenspiel mit der jeweils anderen Sparte entfalten.

In seiner über dreihundert-jährigen Entwicklung hat der Denkmalschutz in Europa viele Stadien und Wandlungen durchlaufen, ausgehend von der typischen Altertumspflege (z.B. Erhaltung von Tempeln, Runensteinen etc.), und ist über Klosteranlagen, Kathedralen und Schlösser irgendwann auch bei Profanbauten (Bürgerhäusern) und Nutzbauten (Windmühlen) angelangt. Im letzten Viertel des 20. Jahrhundert erweiterte sich der Denkmalbegriff nochmals erheblich mit der Unterschutzstellung ganzer Industrieanlagen (Völklinger Hütte), Gebäude-Ensembles (Hamburger Speicherstadt) und mobiler Denkmale: Inzwischen stehen in ganz Deutschland bereits viele historische Schiffe aller möglichen Gattungen und jeden Alters unter Schutz. Dem föderalen System Deutschlands entsprechend hat jedes Bundesland sein eigenes Denkmalschutzgesetz, das immer wieder dem sich ändernden Aufgabenspektrum angepasst werden muss. In Hamburg musste 1992 das Denkmalschutzgesetz angepasst werden, speziell um mit dem Dampfer Schaarhörn das erste bewegliche Denkmal unter Schutz stellen zu können, das obendrein noch Fahrten über die Landesgrenze unternehmen sollte - wo doch eine wesentliche Aufgabe der Gesetzgebung darin besteht, eine Verbringung von Denkmalen über die Landesgrenzen zu unterbinden...

VOM RANKING UNTER DEN OBJEKTEN

Die Denkmalpflege ist nicht nur regional untergliedert, sie hat sich auch mit Objekten von unterschiedlicher Relevanz zu befassen. Deren Bandbreite bewegt sich zwischen relativ unscharfen Sammelbegriffen und rechtlich klar definierten Gattungsbegriffen, die sich folgendermaßen staffeln lassen:
- Geschichtliche Objekte
- Kulturgut
- Denkmale
- Denkmale von Nationaler Bedeutung
- Weltkulturerbe

Jedes Objekt von einigem Alter - sagen wir einfach mal so ab 50 - kann man als geschichtliches Objekt angesehen werden. Hinzuzufügen wäre: wenn man denn seine Besonderheit, seine Botschaft versteht, und wenn es denn überhaupt eine hat. Schon an diesem frühen Punkt wird offenbar, dass historische Hinterlassenschaften, Kultur oder Denkmale immer erst dann ihren Wert erlangen, wenn sie beim Betrachter einen Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozess auslösen.
Ob wertloser alter Plunder oder lieb gewonnenes Erinnerungsstück aus der Familiengeschichte - das „geschichtliche (oder vornehmer: historische) Objekt“ ist kein Rechtsbegriff, es leiten sich daraus keine Verbindlichkeiten ab, allenfalls ein allgemeiner Appell in Richtung auf Erhaltung und artgerechtem Umgang.

Über die unterschiedlichen Beschaffenheiten von Kulturgut - materiell und immateriell - wurde bereits mehrfach gesprochen, dementsprechend ist der Begriff nicht nur im Denkmalschutz, sondern auch in der Museen, Bibliotheken und in der Kunst zu Haus.
Mit der Verwendung dieses Begriffes verbindet sich ein durchaus gewichtiger Anspruch, nämlich dass sich an dem Objekt oder der Sammlung solcher Objekte das Werden unserer Kultur ablesen lässt.
Zitat Wikipedia:
„Die Bezeichnung Kulturgut wird im deutschen Sprachraum vielfältig verwendet und umfasst sowohl bewegliche wie auch unbewegliche Güter. Kulturgüter sind in der Regel von archäologischer, geschichtlicher, literarischer, künstlerischer oder wissenschaftlicher Bedeutung. Kulturgüter oder Kulturgut können sowohl Bestände von Bibliotheken, Archiven und Museen als auch Bodendenkmäler und Gebäude sein (Baudenkmäler wie Kirchen, Klöster, Schlösser). Seit den 1960er-Jahren werden auch Werke der technischen Kultur verstärkt als Kultur- gut anerkannt, beispielsweise historische Produktionsanlagen oder Verkehrsmittel. Kulturgüter stammen häufig aus der Hochkultur, sie können aber auch zur Volkskultur, der Alltagskultur oder Industriekultur gehören.“
Dass der Begriff „Kulturgut“ weit interpretierbar ist, ist auch ablesbar an der enormen Zahl von Museen, in Deutschland allein über 6000, nicht mitgezählt die vielen kleinen Privatmuseen und halb-öffentlichen Sammlungen. Ob Spielzeug-, Computer- oder Rundfunkmuseum, oder Kuckucksuhren oder Buddelschiffe, Wald oder Frauenmuseum - kaum ein Sammelgebiet ist nicht vertreten, und alle verbinden mit ihrem Auftrag einen kulturellen / kulturgeschichtlichen Anspruch.
Die viel verwendete Bezeichnung ist kein geschützter Rechtsbegriff(1), jedermann kann sein altes Haus, Auto oder Boot als Kulturgut bezeichnen, und niemand kann ihn daran hindern. Mit dem Umkehrschluss kommen wir zu einer für uns entscheidenden Erkenntnis: Ein geschichtliches Objekt wird dann zum Kulturgut, wenn sein Eigentümer es als solches versteht, es so behandelt und diesen Anspruch auch nach außen vertritt. Erhaltung und Pflege von Kulturgut haben also ganz entscheidend mit der inneren Haltung der jeweiligen Eigentümer zu tun.

Der Ursprung des Begriffs Denkmal geht zurück auf Gedenksteine von großen Schlachten, Statuen und Reiterstandbildern von großen Persönlichkeiten und sonstige Mahnmale, und hat sich erst seit der Epoche der Aufklärung mehr und mehr auf Gebäude ausgeweitet, die vom kulturellen Erbe der Gesellschaft zeugen. In Deutschland wurden Anfang des 20. Jahrhunderts erste Denkmalschutzge- setze und deren Vorformen erlassen, zum Beispiel in Sachsen 1909 das „Gesetz gegen Verunstaltung von Stadt und Land (Verunstaltungsgesetz)“. Erst seit 1919 steht in der Verfassung des Deutschen Reichs: „Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates“. Seither ist es Aufgabe der Denkmalschützer, anhand ihres Regelwerkes rechtsgültige Entscheidungen darüber zu treffen, ob ein historisches Objekt zum Denkmal erklärt wird oder nicht.

Die wichtigsten der heutigen Anforderungen an ein Denkmal sind:
- Original erhaltene Substanz
- Geschichtliche Bedeutung
- Zeugniskraft

Das erste Postulat ist das Entscheidende: Das Denkmal definiert sich durch seine original erhaltene Substanz. Hat das Objekt keine original erhaltene Substanz, so kann es kein Denkmal sein, so zum Beispiel eine Replik. Wobei der Begriff „original“ hier genauer beleuchtet werden muss: Nicht nur der Ursprungszustand mit seinen Materialien gilt als original, sondern auch nachfolgende Umbauten.

Ein Ausflug in die Baudenkmalpflege verdeutlicht, worum es geht, betrachten wir mal die Baugeschichte der St. Katharinenkirche in Hamburg: 1350 -1400 erbaut (Spätgotik)
1568 Westfront erneuert im Renaissance-Stil
1596 Bau eines spätgotischen Turms, der 1648 einstürzt
1656 Neubau des Turms in der jetzigen Form (Barock)
1944 Schwere Bombenschäden
1948 Wiederaufbau
Das heutige Bauwerk stellt also ein Gemisch verschiedenster Stilepochen dar, deren überkommene Substanz in ihrer Gesamtheit nur als original erhaltene Substanz zu betrachtet wird. Niemand käme auf die Idee, die dinglichen Spuren von Renaissance und Barock zu eliminieren zugunsten einer ungesicherten Rekonstruktion des Ursprungsbaus. Die „original erhaltene Substanz“ stammt also aus allen Bau- und Nutzungsperioden des Denkmals. Klassifiziert werden nur die historischen Überlieferungszustände - „Überlieferungszustand 1“ für den Ursprungsbau, alle weiteren Nummern beschreiben die später vorgenommenen Umbauten oder Schadensereignisse (oder auch „Primärzustand / Sekundärzustand ...etc).
Die Forderung nach „Geschichtlicher Bedeutung“ versteht sich bei einem Denkmal irgendwie von selbst, muss vor der Unterschutzstellung aber gründlich erforscht werden, um damit ein besseres Verständnis für das Objekt zu erlangen und die baulichen Spuren in einen stimmigen Zusammenhang zu den dokumentierten Nutzungsperioden, Vorfällen und Eingriffen bringen zu können.

Worin besteht die Botschaft, die Information, die ein Denkmal an die Nachwelt vermitteln soll? Oft geht es darum, unter Dutzenden gleicher oder ähnlicher Bauten einer Epoche dasjenige Exemplar mit der größten Zeugniskraft herauszusuchen, wobei im Vordergrund die Betrachtung der original erhaltenen Substanz steht, zu der nicht nur die Fassade, sondern beispielsweise auch eine reichhaltige Innenausstattung gehören kann. Zu einem Unterschutzstellungsgutachten gehört jedenfalls immer die Umschau, ob anderswo vielleicht noch andere oder gar besser erhaltene Exemplare der gleichen Gattung existieren, auch um das Denkmalschutzamt vor einem peinlichen, möglicherweise sogar kostspieligen Schnellschuss zu bewahren.

Denkmale stehen im öffentlichen Raum und sind damit immer auch Gegenstand des öffentlichen Interesses, mal weniger, mal mehr, mal kontrovers. Abrissgegner bemühen sich gern, durch öffentlich geführte Kampagnen die Meinungsbildung erst in der Presse, dann im Denkmalschutzamt zu beeinflussen. Aber es kommt auch gar nicht so selten vor, dass die Politik selbst Einfluss auf Unterschutzstellungsprozesse nimmt, nicht nur um sich unliebsamer Ruinen zu entledigen, sondern umgekehrt auch, um Bauwerke unter Schutz zu stellen, die streng genommen keinen Denkmalwert haben (z.B. weil sie als Wahrzeichen gelten, für die man dringend Fördermittel benötigt).

Denkmalschutz, das wurde schon eingangs erwähnt, ist originäre Ländersache, auch dessen Finanzierung. Kommt einem Denkmal eine Bedeutung zu, die deutlich über die Ländergrenzen hinausgeht, so kann es zu einem „Denkmal von nationaler Bedeutung“ gekürt werden, mit der Folge, dass sich auch der Bund möglicherweise für dessen Erhaltung in die Pflicht nehmen lässt. Seit 1950 fördert der Bund aus seinem Förderprogramm „National wertvolle Kulturdenkmäler“ die Erhaltung von Baudenkmälern, archäologischen Stätten und historischen Parks und Gärten, wenn sie herausragende kulturelle, politische, geschichtliche, architektonische, städtebauliche oder wissenschaftliche Leistungen des Gesamtstaates deutlich machen oder für die kulturelle oder historische Entwicklung der deutschen Kulturlandschaften entscheidend sind. Von 1950 bis 2007 wurden aus diesem Programm über 500 Kulturdenkmäler mit insgesamt rund 280 Millionen EUR gefördert. Seit 2015 ist auch ein Schiff dabei: Der 1958 erbaute Stückgutfrachter Ms Bleichen erhält für seine Restaurierung und Infahrtsetzung einen Zuschuss von 3 Mio € aus dem Haushalt der „Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien“ (BKM).

Auf der höchsten Sprosse steht das „Weltkulturerbe“ der UNESCO. Nur selten werden dort noch Einzelbauten wie der Aachener Dom gelistet, meist sind es Ensembles wie die Lübecker Altstadt, das Bauhaus und seine Stätten in Weimar und Dessau-Roßlau oder die „Zeche Zollverein“ in Essen. Hamburg hat das sog. Kontorhausviertel samt bereits denkmalgeschützten Speicherstadt zur Anerkennung als Weltkulturerbe angemeldet, ein Vorgang, der mit seinen strengen Prüfungen mehrere Jahre dauern wird. Die Speicherstadt wäre dann Deutschlands erste maritim- geschichtliche Welterbe-Stätte.
Historische Schiffe haben meines Wissens den Aufstieg bis in diese Liga nicht geschafft, höchstens vielleicht als Teil eines komplexen Ensembles.

Lässt man die ganze Bandbreite vom historischen Objekt bis zum Weltkul- turerbe noch einmal Revue passieren, dann wird schnell klar, wo sich klassische Yachten am ehesten verorten lassen: Sie sind ohne Wenn und Aber Kulturgut - vorausgesetzt allerdings, sie werden von ihren Eigentümern entsprechend behandelt.

Ob irgendwo einmal eine historische Yacht unter Denkmalschutz gestellt oder dies zumindest versucht wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Dass eine solche Unterschutzstellung auch für den Eigner steuerlich nicht uninteressant sein muss, dürfte sich herumgesprochen haben: Über einen Zeitraum von 10 Jahren könnten bis zu 90 % der Sanierungskosten von der Steuer abzusetzen sein. Fakt ist allerdings, dass die Denkmalschützer den historischen Schiffen nicht gerade hinterher laufen – in der Regel mangelt es den Mitarbeitern sowohl an freien Kapazitäten als auch an dem nötigen Beurteilungsvermögen für historische Schiffe.
Für die nachfolgende Ausleuchtung gängiger Fachausdrücke werfen wir der Einfachheit halber Denkmal und Kulturgut in einen Topf.

VOM RECHTEN UMGANG MIT DEM DENKMAL

Im Idealfalle wird ein Denkmal so gut gepflegt, dass es gar nicht erst restauriert werden muss. Jeder alte Hase unter den Yachteignern weiß, dass gründliche Konservierung und allzeit ein wachsames Auge auf die neuralgischen Bereiche die beste Lebensversicherung für einen Klassiker sind - eben Denkmalpflege auf dem Wasser. Aber unsere Schiffe stehen nicht aufgebockt in optimal klimatisierten Museums-Magazinen, sondern werden teilweise intensiv genutzt, machen lange Reisen oder auf Regatten hart rangenommen. Nicht anders als strohgedeckte Fachwerkhäuser bestehen sie zum größten Teil aus organischen Materialien, und deren Lebenszeit ist nun mal nicht unbegrenzt. Irgendwann kommt also für jede Yacht der Zeitpunkt, wo sie auf die Werft muss - und dann? Reparieren, sanieren, restaurieren, rekonstruieren oder gar renovieren?

Fangen wir mal mit dem Schlimmsten an: Renovieren kommt von lateinisch res nova, ein neues Ding - das signalisiert ein Maximum an Rücksichtslosigkeit gegenüber dem geschichtlichen Charakter des Objekts. Man braucht nur an all die Missetaten denken, die den alten Bauernhäuser in den 60er - 70er Jahren angetan wurden: Strohdach ausgewechselt gegen Well-Eternit, Sprossenfester gegen Rekord-Fenster, die Fassaden mit gelbem Klinker verblendet usw. Nichts anderes passierte so manchem redlichen Fischkutter, dessen Rumpf überlaminiert wurde, Steuerhaus und Hochtakelung drauf, und fertig war die schicke neue Kutteryacht. Wohlgefällig präsentieren sich die gedrechselte Heckreling und eine halbnackerte Galionsfigur dem Auge des Betrachters - das ist dann die Steigerung des Renovierens, genannt „historisieren“, also unechte Geschichtlichkeit vortäuschen, ein Gräuel für den Liebhaber echter Denkmale.

Aber so schlimm muss es ja nicht kommen, eigentlich soll das alte Boot, genau wie sein Eigner, ja nur wieder segeln können, also fragen wir mal eine ordentliche Bootswerft nach einer Reparatur. Und wenn da ein ordentlicher Meister arbeitet und der Bootseigner etwas auf seinen Klassiker hält, kommt möglicherweise genau das heraus, was auch der Denkmalpfleger fordern würde: Ein material-, form- und handwerksgerechter Ersatz der schlechten Planken. Aus der gleichen Holzart, im gleichen Nahtverlauf und die Stöße mindestens um 2 Spanten gegeneinander verschossen, von Hand eingepasst und sauber abkalfatert, nix Polyester, Sikaflex und Spaxschrauben. Eine solche Maßnahme wird oft und gern als „Restaurierung“ bezeichnet, ist aber streng genommen gar keine solche, denn restaurieren kann man nur, was vor- und hinterher noch da ist. Entfernt man abgängige Substanz oder ersetzt man Details, die schon früher verloren gegangen sind, dann ist das eine Rekonstruktion. Und die ist an einem Denkmal durchaus statthaft, vorausgesetzt sie wird material-, form- und handwerksgerecht ausgeführt. Schwierig wird es immer dann, wenn ungesicherte Rekonstruktionen vorgenommen werden, der frühere Zustand also nur ungenügend dokumentiert ist und trotzdem munter drauflos gewerkelt wird. Da wird jeder Denkmalpfleger sagen: Lieber den letzten Zustand beibehalten als womöglich das Denkmal verfälschen. Rekonstruktionen früherer Bauzustände eines alten Seglers - etwa von Aufbauten, dem alten Gaffelrigg oder der Pinnensteuerung - erfordern immer ein intensives Quellenstudium. Nichts ist peinlicher als der Moment, wo ein Hüter von Archivgut dem stolzgeschwellten Bootseigner bei der Präsentation seines „originalgetreu restaurierten“ Bootes ein Originalfoto vor die Nase hält, das eine ganz andere Sprache spricht als das bauliche Resultat...

Viele weitere und unscharfe Begriffe sind im Umlauf für die Wieder- Ertüchtigung eines Bootes, und meistens meinen sie das Gleiche: Werftüberholung, Instandsetzung, Refit, Grundüberholung – ob dabei ein denkmalgerechter Umgang mit dem historischen Objekt praktiziert wird, bleibt jedenfalls offen. Genauer hinsehen sollte man, wenn von einer „Sanierung“ gesprochen wird, da liegen in der Regel ernsthafte bis unerfreuliche Ursachen vor. Etwa dann, wenn man als Sachverständiger mit einem Kaufinteressenten irgend so ein altes Schätzchen inspiziert, die Bodenbretter hochnimmt und aus vielen Mündern gleichzeitig der Ausruf kommt „Ach du Scheiße“! Oder eine Pilzsanierung in einem schlecht belüfteten Achterschiff. Doch ganz so schlimm muss es nicht kommen, auch die mühsame Entfernung alter Eisennägel aus einem alten Rumpf stellt eine Sanierung dar - mehr jedenfalls als eine Frühjahrüberholung.

Hinter dem Begriff „Grundsanierung“ verbirgt sich nicht selten eine Runderneuerung, bei der kritische Denkmalschützer sich und anderen die Frage stellen, ob es sich hier noch um das historische Objekt oder schon um eine Replik handelt. Die Beamten in den Schiffsregistern sind da weitherziger: Haben sich die Maße des Schiffes infolge eines Werftaufenthalts nicht großartig verändert und sind wesentliche Bauteile innerhalb des Schiffsganzen erhalten geblieben, gilt die Identität des alten Schiffes als gewahrt.

Der viel geliebte und viel genutzte Ausdruck Restaurierung trifft, das ist mehrfach deutlich geworden, genau genommen nur auf relativ wenige Einzelmaßnahmen zu - wir restaurieren keine bestehen bleibenden Deckengemälde oder historischen Fassaden, sondern ersetzen kränkelnde Bauteile in der Regel lieber in Gänze. Trotzdem kann zutreffend von einer Restaurierung gesprochen werden, wenn die Gesamtmaßnahme zur Wiederherstellung des historischen Erscheinungsbildes und der Ertüchtigung einer alten Yacht dient, auch wenn viele der Einzelmaß- nahmen eigentlich Rekonstruktionen sind. Anders als die meisten Yachteigner würden die heutigen Denkmalschützer Wert darauf legen, dass man Originalteile und neue hinterher noch auseinander halten kann, und
sei es nur auf den zweiten Blick, und nicht alles auf den gleichen Ton beizt - Geschichte und ihre Spuren sollen am Objekt ablesbar sein.

Ein wichtiger Begriff ist das „Restaurierungsziel“ - wie soll die Yacht hinterher aussehen, für welche Einsatz, welches Fahrtgebiet soll sie ertüchtigt werden, welchen der früheren Bau- zustände will man wieder herstellen? Es muss durchaus nicht, das war eingangs zu lernen, zwangsläufig immer der Urzustand sein, sondern kann durchaus auch ein späterer sein, sogar der bei der letzten Übernahme des Schiffes. Der Eigentümer ist dabei frei in seinen Entscheidungen. Angestrebt werden sollte immer ein Restaurierungsziel, bei dem möglichst wenig überkommene und erhaltenswürdige Substanz zerstört wird, gerade hier ist der Bauzustand bei der letzten Übernahme des Schiffes der Königsweg. Nur eins sollte vermieden werden: Die Herstellung von unhistorischen Mischzuständen, also ein Erscheinungsbild, das es so nie gegeben hat (siehe auch unter „historisieren“). Alle Eingriffe und Veränderungen an einem Denkmal, egal ob Reparatur, Restaurierung oder Rekonstruktion, stehen immer unter der Forderung nach „quellengerechter Erhaltung“, dies ist die zentrale Forderung für den zeitgemäßen Umgang mit einem Denkmal.

EXKURS: UMSTRITTENE KONSERVIERUNGSMETHODEN

Quer zum Mainstream stehen einige Erhaltungs-Beispiele, die Klassiker- Freunde eher aburteilen würden, mit denen Denkmalschützer aber durchaus leben können.
Beispiel 1: WILLOW WREN. Die 1886 gebaute Kutteryacht ist 1980 in England mit einer Schicht aus Ferro- Zement überzogen worden und segelt damit seither munter und trocken herum. Wer sich das Schiff genau ansieht, wird staunen: Es weist innen und außen deutlich mehr Originalsubstanz auf als die meisten noch in Fahrt befindlichen Yachten solchen Alters. Nicht nur der hölzerne Rumpf, sondern vor allem die historische Inneneinrichtung im Victorianischen Stil ist erhalten geblieben, an Deck stehen noch die Original-Teakholz-Aufbauten, ein kulturgeschichtlicher Schatz. Ohne die Ferrozement-Beschichtung wäre das alles nicht mehr da, jedenfalls nicht in seiner Gesamtheit. Es wird auch in Zukunft Yachtwerften geben, die nach Entfernung der Zementschicht den sicher sanierungsbedürftigen Rumpf denkmalgerecht restaurieren können - niemand aber würde solche in Würde gealterten Schiffsmöbel und Decksaufbauten je wieder herstellen können.

Ähnliches gilt für Beispiel 2, den Zwölfer HETI. Die 1912 von Max Oertz auf seiner Werft am Reiherstieg erbaute Yacht wäre nicht erhalten geblieben, wenn sie nicht 1971 laminiert und mit einem himmelhohen Bermuda-Rigg versehen worden wäre. Heute ist sie die älteste und einzige gaffelgetakelte 12-Meter-Rennyacht deutscher Provenienz.

Beide Yachten sind nur erhalten geblieben dank Konservierungsmethoden, die unter Puristen absolut keinen guten Ruf haben. Aber wenn keine Mittel für eine Grundsanierung zur Verfügung stehen, ist eine unkonventionelle Sicherungsmaßnahme, die das Leben des Objekts einige Jahrzehnte verlängert, allemal besser als die Kettensäge. Beide Yachten könnten heute jederzeit von Grund auf saniert werden, falls die jeweiligen Eigner sich dazu entschließen sollten.

VON BESONDERHEITEN DES DENKMAL-CHARAKTERS

In der modernen Denkmalpflege werden Denkmalen mit besonderen Fachbegriffen Eigenschaften zugesprochen (bzw. ihr Fehlen beklagt), die von menschlichen Charakteren entlehnt sind.
Authentizität heißt nicht anders als Echtheit, aber erst die gegensätzliche Bedeutung ergibt in diesem Zusammenhang einen Sinn: Nichts an einem Denkmal sollte unecht oder gefälscht sein, etwas vortäuschen, was gar nicht vorhanden gewesen ist.

Auch der Begriff Integrität ist im Vergleich zu menschlichen Charakteren erklärbar, die leider nicht Mainstream sind: Gemeint ist die Treue zu sich selbst und den eigenen Auffassungen und Wertvorstellungen, im Gegensatz zur Korrumpierbarkeit oder zum Mangel an jeglichen Überzeugungen. Von einem dieser armen Schiffe, auf denen viele Eigner ohne Rücksicht auf Verluste ihre Geschmacksvorstellungen und Komfortbedürfnisse verwirklicht haben, ließe sich beispielsweise sagen, dass es seine Integrität, seine Unversehrtheit eingebüßt hat.

Deutlich komplizierter ist der Begriff Intrinsischer Wert, der seinen Ursprung in der menschlichen Verhaltensforschung hat und in diesem Zusammenhang etwa „als von innen kommend“ übersetzt werden kann.
Er bezeichnet die immaterielle, nicht messbare Qualität eines Denkmals, die Faszination, die von ihm ausgeht, die Wirkung auf seine Betrachter. Es ist etwa so, wie wir Männer von manchen Frauen sagen, sie hätten „das gewisse Etwas“ - und damit sind nicht Sexappeal oder teure Kleider gemeint.
Für das Überleben unserer historischen Schiffe im Allgemeinen - und für diejenigen im Besitz der Stiftung Hamburg Maritim im Besonderen - ist deren intrinsischer Wert ein ganz entscheidender Faktor, denn er steht im direkten Zusammenhang mit der Gewinnung und Motivierbarkeit von Idealisten, von ehrenamtlichen Mitgliedern, denn nur mit deren Einsatz sind die Schiffe in Fahrt und am Leben zu erhalten. Dass unsere Stiftung über tausend Mitglieder in den Betriebsvereinen ihrer Schiffe hat, ist - neben anderen Faktoren - der Faszination zu verdanken, die von diesen Schiffsveteranen ausgeht, ihrem intrinsischen Wert eben.
Unser Streifzug durch die Terminologie der Denkmalpflege begann mit der provokanten Frage, ob unser Umgang mit den klassischen Yachten als Kulturleistung oder doch eher als Ego-Trip anzusehen sei. Dass wir - wenigstens teilweise - mit wertvollem Kulturgut umgehen, die einen sehr bewusst, andere eher zufällig, wird im letzten Absatz dieser Betrachtung als gesichertes Resultat betrachtet. Ob es nun der intrinsische Wert unserer Schiffe ist, die Befriedigung als Star in der Manege eines Klassiker-Treffens oder weite Reisen über See mit einer selbst restaurierten Yacht - die Klärung der Sache mit dem Ego-Trip überlasse ich gern der Psychologen-Zunft. Jeder Leser möge für sich selbst entscheiden, was genau ihn dazu motiviert, unserer Besessenheit für alte Yachten jedes Jahr wieder die dafür fälligen Opfergaben zu erbringen!


Für den FKY schrieb Joachim Kaiser bereits 1998 eine Standortbestimmung für Schiffs- Restaurierungen und maritime Denkmalpflege: "Altes Schiff, was nun?". Sein Artikel erschien im "Mitgliederheft 9" und steht als pdf-Datei im Restaurierungsbereich unserer Homepage zur Verfügung.

(1) Ausnahmen: Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung und das Kulturgüterrückgabegesetz



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