VORGESTELLT

Daphne R 155

von Jörg-Peter Vick

So ging Bootsbau anno 1953 in Schwerin: ein seitlich offener Schuppen einer Tischlerei in der Voßstraße, eine Nutzungsvereinbarung für alle Werkzeuge dort selbst, eine Absprache mit einem gelernten Bootsbauer - Otto Schädlich - und ein Riss von Reinhard Drewitz.

Aber jetzt mal langsam: Familie Pommerenke, Vater Walter, gelernter Zimmermann und Bau-Ingenieur, Sohnemänner Jürgen und Uwe wollen einen Jollenkreuzer bauen. Schnell und gut soll er segeln. Das Wasser muss aus der Plicht leicht erreichbar sein. Nachdem Jürgen bei den gesamtdeutschen Regatten am Müggelsee Drewitz höchstpersönlich kennenlernte und der Jollenkreuzer R 73 (läuft noch heute auf dem Zeuthener See) besichtigt wurde, war klar: der Riss mit dem einprägsamen negativen Deckssprung zur halben Kajütlänge musste es sein. Gut gelagertes Eichenholz war vorhanden und los ging es. Trotzdem: Materialergpässe mussten kreativ behoben werden, Kupfernieten fehlten. Kurzerhand wurden 3000-4000 Stück aus hartem Kupferdraht selbst gefertigt. Draht in durchbohrte Winkeleisen einführen, eingeklemmt in den Schraubstock und dann mit dem Hammer feste druff, einen Nietenkopf geschlagen. Die Scheiben kamen allerdings aus Westberlin. Hält heut noch. Der gelernte Bootsbauer, den geistigen Erfrischungen sehr zugeneigt, erhielt Sonnabend nur halben Lohn, damit er am Sonntag auch zum Arbeiten kam und nicht ruhte. In den Semesterferien und auch sonst machten die jungen Studenten schon mal blau für den Baufortschritt, bis hin zur vorgetäuschten Selbstverstümmelung. Der Bau dauerte ein Jahr und mit von einem Mann gezogenen und von zwei Männern geschobenen Karren ging es zum Stapellauf an den Schweriner See. Der Bau war gut gelungen. Prächtig mit Blumenschmuck und Eichenlaub anzuschauen. Nur einen halben Liter musste man nach der Erstwasserung am 4. August 1954 um 17:30 Uhr putzen. Auf den Namen „Saar" getauft und gaffelgetakelt ging es auf den Schweriner See. Junior Jürgen und Mannschaft ersegelten 1955 und 1956 den Vizebezirksmeister. Bei den DDR-Meisterschaften am Müggelsee und 1956 am Plauer See kam man immerhin in der ersten Hälfte ein. 1959 zählte ein dritter Platz bei der Mecklenburger Segelwoche zum Erzählenswerten. Dann wechselte das Boot aus der Pommerenke- in die Raben-Segel-Dynastie. Der Namenswechsel war klar: eine "Forsa" musste es werden. Hochgetakelt und mit Kunststoffsegeln ausgestattet war das Ostufer der Müritz beliebter Liegeplatz während des Sommers. Herbert Raben berichtet aus seiner Zeit über Teilnahmen an den Kreuzerfernwettfahrten.

Am 7. Mai 1977 wechselte dann R 155 zu Dr. Klaus Springfeld, wird nach einer Quellnymphe in "Daphne" umbenannt, um forthin als Familienurlaubsdomizil, Freizeitsegelspaß und Badeplattform gute Dienste zu leisten. Der neue Eigner samt vielköpfiger Kinderzahl machte sich mit dem neuen Familienmitglied vertraut. Anlegemanöver wollen gelernt sein. Auf der Leeseite der Insel schläft es sich bedeutend ruhiger. Dann aber geht es mit einem Holz-Übersetzer im Schlepp jährlich an den Jabelsee und weiter an die Müritz.

1995 wurde uns „Daphne" angeboten. R 155 soll in der Familie und auf diesem See bleiben: Sie brauche Kinder zum Segeln. Kinder hatten wir. Aber keine Ahnung von Wind und Welle, geschweige denn vom Segeln, Wir gewöhnten uns langsam an ein Boot, eines auch noch aus Holz, an das Segeln und an Wasserwege über die Müritz bis zum Pälitzsee und Gott sei Dank wieder zurück. Welch herrliche Urlaube mit starkem Pinnenausschlag am Abzweig nach Jabel und am Ostufer Müritz. Wir sind immer dabei, wenn es gilt, auf unserem See das Regattafeld zu füllen und suchten uns bisweilen gesicherte Parkpositionen auf der Startlinie. Wir stippten den Kahn erstmals 2010 in salziges Wasser und schlugen auf Hiddensee und in Ralswiek an. Wir sind unseren Vorgängern an Bord dankbar für ihre Hinterlassenschaft. Wir freuen uns mit den vor uns segelnden Holzbooten über deren Erfolge. Wir wollen noch lange an Bord bleiben und Wind, Wasser und Land genießen.

Die Schwarz-Weiß-Bilder wurden mir freundlicherweise von Familie Pommerenke zur Verfügung gestellt.

Foto: Andrea Joost anlässlich der Holzbootregatta 2010



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