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Europa 30er "Trotzkopf"

von Rainer Opitz

Europa 30er "Trotzkopf", Konstrukteur: Martens, Bauwerft: Tübbecke/Potsdam, Baujahr 1942, Länge 10,48 m, Breite 1,92 m, Tiefgang 1,30 m, Segelnummer E GER 10, Mahagoni / Eiche, Deck mit schmalen Teakstreifen belegt (Besonderheit)

"Trotzkopf" wurde 1942 auf der Tübbecke-Werft in Potsdam gebaut. Die Werft wurde im Krieg zerstört und existiert nicht mehr. Es ist auch im Internet nichts über diese Werft zu erfahren. Eine kurze Erwähnung findet sich nur in dem Artikel von Hans-Joachim Rook „Segler und Dampfer auf Havel und Spree“.

Der erste Eigner war ein Herr Kuke. Wie lange er das Boot in Besitz hatte, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Herr Kuke war Mitglied im Potsdamer Yachtclub am Großen Wannsee in Berlin. Herr Kuke verkaufte das Segelboot an einen Herrn Alfred Spieß, einen Schneidermeister, der später auch einen kleinen Laden mit Bootsbedarfsartikeln in Tegel führte. Tegel ist ein Ortsteil im Norden von Berlin am gleichnamigen See, früher Standort der weltbekannten Firma Borsig (Maschinenbau und Dampflokomotiven), heute bekannter durch den Flughafen. Herr Spieß war Mitglied der Segler-Vereinigung Tegel e.V., das Boot war seitdem auf dem Tegeler See beheimatet.

1945 wurde das Boot von der französischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und in „Cigogne“ (=Storch) umbenannt. Es lag zwei Jahre im „Club Nautique Francais de Tegel“ am Tegeler See. 1947 bekam der Herr Spieß von den Franzosen das Boot in schlechtem Zustand wieder zurück. Zusammen hatten die beiden ersten Besitzer, die Herren Kuke und Spieß, das Segelboot 23 Jahre. Wie lange jeder einzelne davon ist nicht bekannt, Herr Kuke vermutlich nur kurze Zeit.

Im Jahr 1965 verkaufte Herr Spieß das Boot an Herrn Dieter Borowsky. Dieser war Mitglied im „Tourensegler-Verein Tegel e.V.“ und hatte das Boot 17 Jahre in seinem Besitz. 1982 wurde „Trotzkopf“ von einem Herrn Hans-Dieter Gärtner gekauft und auf der Haase-Werft in Berlin-Spandau überholt. Bilder dieser Restaurierung gibt es noch, die Werft existiert heute nicht mehr. Von da an hatte das Boot seinen Liegeplatz auf einem Privatgrundstück an der „Scharfen Lanke“, einer Ausbuchtung der Havel im Ortsteil Spandau. 1989 kaufte es Frau Alexandra Junge, sie übersiedelte 1991 nach Südfrankreich.

So konnte ich im April 1991 das Boot erwerben. Ich ließ es auf der „Bootswerft Fritz Pfennig“ (vormals im Osten ) in Grünheide bei Berlin für 12000.- DM komplett überholen. Das war deren erster großer Auftrag und sie haben es auch wunderbar gemacht. Die Yacht wurde zum echten „Hingucker“ auf den Havelseen. Den sehr geschützten und ruhigen Liegeplatz in der „Scharfen Lanke“ behielt ich bei, vor 2 Jahren wurde mir allerdings wegen Eigentümerwechsels des Bootsgrundstückes der Liegeplatz gekündigt. Wenige Meter weiter, neben der Marina-Lanke-Werft, habe ich dann einen neuen Stegplatz anmieten können. All die Jahre überwinterte „Trotzkopf“ auf der Bootswerft „Fritz Rietz“ in Werder bei Potsdam. Dort wurden auch die jährlich anfallenden Schönheitsreparaturen erledigt, lediglich eine Neulackierung des Mastes wurde von der Firma Welkisch 2009 durchgeführt. In 2010 wurde anläßlich der Havel-Klassik dem Schiff der Restaurierungspreis verliehen.

Seit ein paar Wochen hat "Trotzkopf" nun einen neuen Eigner und Heimathafen in Österreich - im Union Yachtclub in Dellach am Wörthersee - und nahm auch bereits an einer Holzbootregatta auf dem See teil.

Anmerkungen zur Geschichte der Europadreißiger:

Der erste Europa 30er, gezeichnet von Willy Lehmann, wurde im Sommer 1938 in Berlin gebaut wurde (die “Liebelei VI”) und im Dezember 1938 in der Zeitschrift “Die Yacht” ausführlich und mit etlichen Detailaufnahmen der Öffentlichkeit vorgestellt. Neben Willy Lehmann hatte 1938 auch der damals erfolgreichste deutsche Konstrukteur, Carl Martens, der im selben Jahr den genialen Entwurf für die Pirat-Jolle gezeichnet hatte, einen Riss geliefert; ein Boot befand sich im Winter 1938/39 auf der Werft von Robert Beelitz in Potsdam im Auftrag des DSV bereits im Bau. Dieser Prototyp des Risses von C. Martens wurde offenbar vom DSV favorisiert und die Risszeichnungen dieses Typs mehrfach publiziert, konnten sich aber nicht durchsetzen: er blieb der einzige damals im Deutschen Reich gebaute Europadreißiger mit Kajütaufbau.

Der Europadreißiger war geplant als "europäisches" Boot - dabei dachte man damals nicht nur an die Binnenstaaten wie Österreich und Ungarn, sondern auch an Skandinavien - diese Initiative hatte durch den deutschen Überfall auf Polen und den damit verbundenen Kriegsausbruch außerhalb der Achsenmächte keinerlei Chancen auf irgendeinen Erfolg. Die 1941 erscheinenden Aufsätze als Werbung für die Bootsklasse muten daher reichlich anachronistisch an, auch wenn nachher tatsächlich noch zwei oder drei weitere Schiffe der Klasse gebaut wurden. Als „europäisches” Kielboot, auf das ja sogar der Name der Klasse Bezug nahm, war der Europadreißiger aber gescheitert.

Übrigens:

Das Verkaufsangebot "Europa 30er Trotzkopf, wunderschöner Klassiker, aus Altersgründen des Eigners zu verkaufen" erschien im Bootsmarkt auf www.fky.org. Trotzkopf wurde wenige Tage nach Erscheinen der Anzeige verkauft, Interessenten hatten sich auch aus der Schweiz und gleich zwei aus Ungarn gemeldet. Das ungarische Interesse liegt sicherlich in der Klassengeschichte des Europa 30ers begründet. Nachzulesen in ausführlicher Fassung unserem Webangebot:

http://www.yachtsportmuseum.de/themen/klassennotizen/europadreissiger.html



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